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Morbus Wegener - nie gehört!

Es ist nun etwas über ein Jahr her, das mich meine Krankheit „richtig weggehauen hat“.

Mein Name ist Heinz und ich bin 51 Jahre alt. Ich befinde mich derzeit in einer Phase, in der es mir recht gut geht und ich mich wohl fühle. Normalerweise würde ich nicht über meine Krankheit schreiben, aber Ingeborg - die mir mit Broschüren und Tipps zur Reha sehr geholfen hat - hat mich überzeugt, dass es wichtig ist, sein Schicksal mit anderen Menschen zu teilen. Das schließt explizit die ein, die "neu" in diesem Thema sind und vielleicht noch nicht so diagnostiziert sind, um Morbus-Wegener-Patient zu sein.

Es fing alles recht harmlos an, mit quasi belegtem Hals, so wie man das von einer Erkältung kennt. Meine Stimme war „dünn“, ich räusperte mich oft und musste vor einem gesprochenen Satz einen Schluck Wasser trinken. Ich befand mich in einer Stress-Phase, da ich mit 50 gerne noch Betriebswirtschaft studieren wollte und die Prüfungen anstanden. Bisher war ich mit meinen Leistungen zufrieden und so sollte das denn auch bei den Prüfungen sein. Der Urlaub war gebucht, dort wollte ich entspannt lernen und hatte mir schon alles Notwendige zusammengestellt. Das Kratzen im Hals ging nicht weg und ich musste dauernd niesen, oft 12 mal hintereinander, mein damaliger Hausarzt war ratlos und schrieb eine Überweisung zum HNO-Arzt.

Dann tropfte beim Niesen Blut aus der Nase. Ich ging also zum HNO-Arzt. Der entdeckte etwas Fremdartiges in meiner Nase - vielleicht ein Tumor? Also Kopf röntgen, tatsächlich, da ist was. Ich bekam einen Schreck und ging zur Notaufnahme der HNO-Klinik in der Nachbarstadt. Ja, das wäre wohl ein Tumor und ob gleich heute dableiben könne? Nein, lieber einen Tag Bedenkzeit. Dieses Herumfummeln und Herumsaugen in der Nase war mega-unangenehm. Am nächsten Tag in der Klinik habe ich nochmal darauf hingewiesen, das Schmerzmittel in normalen Dosen bei mir nicht anschlagen. Aber…. Kennen Sie das Gefühl, dass wichtige Informationen beim Gegenüber durch das rechte Ohr hineingehen und ungefiltert und ungenutzt durch das linke Ohr verschwinden? Ergebnis: Biopsie schmerzhaft miterlebt und erst zurück im Krankenzimmer eingeschlafen.

Die besten Voraussetzungen für die nächste OP zwei Tage später. Biopsie Ergebnis: Tumor gutartig. Muss ja nun trotzdem herausoperiert werden. Diesmal volle Dröhnung bekommen und nix gemerkt. Sörend war nur der Pfropfen aus Tuch und Silikon in der Nase. Da der Urlaub um drei Wochen verschoben werden konnte, ging es verspätet in die Türkei. Mit Lernen und Urlaub war nix, denn ich fühlte mich auf einmal unendlich schlapp und habe 16 Stunden geschlafen. Ich fühlte mich, als ob ein 220 Volt Motor nun mit 12 Volt beschickt wurde. Nach 4 Tagen flog ich zurück nach Hause. Verspannt und schlapp wandte ich mich an einen Heilpraktiker der auch gleichzeitig Chiropraktiker war. Ich wurde durchgewalkt, mir wurde fast der Kopf abgerissen, man machte fremdartige Tests mit mir und verschrieb übel schmeckende Medizin. Ja, war interessant und teuer, hat aber nicht geholfen. Jetzt kam dazu, dass ich morgens kaum gehen konnte und starke Kopfschmerzen hatte. Dank 600er Iboprofen konnte ich mich wieder bewegen, litt aber des Nachts unter entsetzlichem Schwitzen - das Bett war nass. Mit Mühen schleppte ich mich zur Lerngruppe und ich bemerkte, immer weniger mitzubekommen und/oder aufnehmen zu können.

Zwischenzeitlich tippte mein Hausarzt auf Borreliose, also „verschlangen“ wir alle Informationen über Borreliose. Es ist wirklich interessant, bei den einzelnen Symptomen diese auf sich zu münzen und später zu sagen: Ja, das ist meine Krankheit. „Leider“ sprachen ein paar Blutwerte dagegen und es musste weiter diagnostiziert und geröntgt werden. Die Prüfungen empfand ich wie in Trance: Absolut kein Zeitempfinden und das Gefühl, dass zwischen Gehirn, Ohren und schreibender Hand eine unterbrochene Verbindung ist. Prima: Prüfungen alle in den Sand gesetzt. Nochmal mit Prüfern gesprochen und Sachlage geschildert, 3 mündliche Prüfungen erwirkt. 3 Wochen lang viel Kaffee und schier endloses Lernen. Ok, das Ruder nochmal herumgerissen. Mit den Ergebnissen "bestanden", aber eben unzufrieden in Bezug auf die bisher guten Ergebnisse.

Eigentlich hätte ich froh sein müssen, unter den widrigen Bedingungen bestanden zu haben. Zwei Tage nach der Übergabe der Urkunden ging ich dann in das Städtische Krankenhaus, da hier die notwendigen Untersuchungen zeitnah vorgenommen werden konnten. Dies geschah denn auch, allerdings zeigte ich wohl keine Symptome die eindeutig einer bestimmten Krankheit zugeordnet werden konnten. Ich weiß nicht, wie oft mir Blut abgenommen wurde, im Zweifel jeden Tag. Leider wussten sich die Ärzte keinen Rat und zogen einen Rheumatologen hinzu. Ich glaubte ein zufriedenes Lächeln im Gesicht des Stationsarztes erkennen zu können, als die Diagnose Rheuma fiel. Schnell Kortison gegeben und dem Patienten ging es nach zwei Tagen besser. Den Folgetermin habe ich dann mit dem Rheumatologen gemacht und bin entlassen worden. Also von Borreliose nach Rheuma umgeschwenkt, habe ich nun meine Krankheit?

Nach drei Wochen wurde es wieder schlimmer. Beim Niesen flogen irgendwelche Brocken aus der Nase und die war irgendwie verstopft. Eines Tages meinte ich, einen dicken Brocken ganz oben in der Nase zu fühlen. Ich kam zwar mit dem Finger nicht dran, aber irgendwas war da. Nun gut, anderes Nasenloch zugehalten und gepresst. Mit einem Plopp flog ein größerer Brocken heraus - irgendwas mit Kruste. Nachdem ich meinem Hausarzt erzählte was passiert war, war dieser ratlos und sagte, dass es von den Nebenhöhlen käme und ich doch noch Zeit hätte, so etwas würde länger brauchen und wenn dann immer noch was wäre, könnte man einen Klinikaufenthalt in Betracht ziehen. Das war dann der Moment, als ich den Arzt wechselte. Ich springe ungern von Arzt zu Arzt ich wechsle auch nicht gerne den Friseur oder die Automarke, bin eher loyal. Meine neue Hausärztin äusserte einen Verdacht, wollte dies aber noch mit einer Magen- und Darmspiegelung untermauern. Also wieder ins Krankenhaus, da ich dies auch nur sediert überstehe. Vorher habe ich noch meine Geburtstagsgäste ausgeladen. Das hätte eh keinen Zweck gehabt, da ich wahnsinnige Schmerzen hatte und das Gefühl, man würde mit einem Messer in meine Füße stechen, die Haare auf meinem Kopf taten mir weh und ich hatte Flimmern vor den Augen. Ich fuhr nicht mehr Auto, ging kaum mehr an den PC sondern lag auf der Couch und versuchte durch viel Schlaf den Schmerzen zu entkommen. Mir schmeckte auch nichts mehr, selbst Currywurst mit Pommes-Mayo und einer Bamischeibe wollte ich nicht mehr. In Folge dessen verlor ich rapide an Gewicht. Im Krankenhaus kam ich an den Tropf und musste jede Menge Untersuchungen mitmachen. Schließlich fand man auch noch einen leichten Gehirnschlag, zusätzlich zu meinen katastrophalen Blutwerten. Es ging rapide bergab, in der Dusche musste ich mir im Sitzen die Haare waschen, abtrocknen ging nur von oben bis zum Bachnabel, weiter unten wäre ich im Stehen umgefallen. Gehen ging nur noch an der Stange entlang. Essen, ja, gegessen habe ich nur wie ein Mäusschen und das Trinken kam hauptsächlich über Infusion. Toll: 25 Kilo Gewicht verloren, jede Berührung an den Füßen tat weh, gehen ging kaum und fast hätte ich gewaschen werden müssen und... immer noch keine eindeutige Diagnose.

Bis sich der Oberarzt der Sache annahm und den Stationsarzt unterstützte, mit verschiedenen Kliniken und Ärzten meinen Fall diskutierte. Was für ein Glück, diesen Arzt getroffen zu haben. Er überwies mich an das St. Elisabeth Krankenhaus in Meerbusch, die Rheumaklinik. Ich wurde im Rollstuhl in den Transporter der Malteser gesetzt und nach Meerbusch verfrachtet. Mein riesengroßes Glück. Die Mahlzeiten konnte man wahlweise auf dem Zimmer oder in der Kantine einnehmen. Am Abend bin ich mit dem Rolli heruntergefahren worden. Gut, ich hatte noch nicht den großen Appetit, aber das Ambiente war schon ein anderes. Ich dachte, jetzt geht es aufwärts - und habe dann den Rolli aus eigener Kraft bewegt (hatte ich vorher auch noch nicht gemacht). Meine Ärztin diagnostizierte Morbus Wegener und erklärte mir umfassend die Krankheit und die mögliche Vorgehensweise. Endlich hatte ich das Gefühl, in den richtigen Händen zu sein, auch wenn mich die Diagnose erst mal schlucken ließ. Wie man das so macht, bemüht man Wikipedia und ist erst einmal geplättet. Man sollte eben nicht wild im Internet herumstöbern.

Meine Ärztin half mir, meine Krankheit zu verstehen und in Meerbusch gab es den richtigen Mix aus Untersuchungen, Behandlungen und Anwendungen; zudem ist die Nahrungsaufnahme in der Kantine schon etwas ganz anderes, auch in kommunikativer Hinsicht. Es gab noch eine Fahrt in ein anderes Krankenhaus, in dem der Neurologe sich an mir probierte. Nun sind ja Nervenleitbahnenmessungen nicht jedermanns Sache, im Prinzip halt gezielte Stromschläge. Das Ergebnis war ernüchternd, erklärte aber meine Polyneuropatien. Weihnachten konnte ich zu Hause verbringen, dort las ich mich dann in kommende Behandlung mit Rituximab ein. Da Morbus Wegener zu den Autoimunkrankheiten gehört, musste mein Immunsystem zunächst hinuntergefahren werden. Die Infusionen mit Rituximab bekam ich in Meerbusch ambulant im Infusionszimmer. Das dauerte 4-5 Stunden und ich konnte mich mit anderen Infusionspatienten austauschen. Nebenwirkungen hielten sich in Grenzen: Starke Müdigkeit und Haarausfall an den Aussenseiten der Unterschenkel (ja, wirklich). Nach 6 Infusionen ist jetzt erst einmal Ruhe bis Ende September, dann besprechen wir die weitere Vorgehensweise. Ja, wie geht es mir nun: Ich falle hin, falls ich zu schnell aufstehe, d.h.: ich stolpere über meine Füße.

Thema Füße: Die fühlen sich beim Gehen an, als ob ich vorne auf nasse Pappe und hinten auf dem Knochen laufe. Sie kribbeln unentwegt. Am besten lässt sich das mit dauerhaft eingeschlafenen Füßen erklären. Oft kann ich nur 500 Meter gehen. Mein Sehvermögen ist drastisch gesunken und auf dem rechten Auge macht sich der graue Star bemerkbar. Schweren Herzens habe ich aufgehört Motorrad zu fahren, da wäre ich eine zu große Gefahr für mich und andere. Beim Autofahren meide ich Nachtfahrten und bei starkem Regen muß ich nach kurzer Zeit rechts ran und warten. Ich vermisse es, mit den Hunden zu rennen; es gehen manchmal Spaziergänge, welche ich auch als zu kurz empfinde. Ich kann nicht hüpfen, nicht lange sitzen und beim Liegen darf ich nicht auf den Zehen liegen. Die Zehen sind oft steif obwohl ich sie nicht anspanne, ich bleibe oft mit den Zehen in der Jeans hängen; das tut dann verzögert sehr weh und ich muß schauen, nicht umzufallen. Wegen der Missempfindungen trage ich im Haus Crocs und ausser Haus Tunschuhe, wenn man Asics für 100 Euro so nennen darf. Wenn ich mit den Zehen anstoße, merke ich den Schmerz erst nach drei Sekunden; das irritiert sehr. Ich trainiere im Sportstudio mein Gleichgewicht sowie meine Rückenmuskulatur. Ich habe durch die Medikamente und das verd… Kortison wieder zugenommen und würde das gerne abtrainieren. Das geht allesdings nur über Ausdauertraining oder eben halt den größten Muskel - Beinmuskulatur - trainieren. Wer nicht richtig gehen kann, kommt auch mit Laufband und Crosser nicht klar. So bleibt mir das Radfahren, obwohl es sehr schwer für mich ist, auf mein Rad zu steigen - jetzt habe ich mir ein altes Hollandrad gekauft, das geht noch.

Im September geht es zur Reha. Zuerst sollte ich in die falsche Klinik, Oberammergau. Ich habe kein Gelenkrheuma und wäre da falsch aufgehoben. Nun wird es doch Bad Bramstedt, nach langem Kampf. Hoffentlich hat sich der Kampf dann gelohnt. Subjektiv geht es mir besser, vielleicht auch nur wegen der Tabletten. Ich muß dann immer an die Worte meiner Ärztin denken: Auch wenn Sie sich zwischendurch gut fühlen, Sie sind immer noch unheilbar krank und wir werden die Krankheit eindämmen können, damit Sie so gut es geht leben. Was kaputt ist, das ist irreversibel kaputt und man muß zunächst die großen Organe schützen. Rheuma in den Blutgefässen kann überall auftauchen, die Krankheit verläuft in Phasen und Wellen. Genießen Sie die guten Zeiten, sammeln Sie Kraft und bauen Sie Resilenz auf. Ja, das tue ich und ich genieße jeden neuen Tag, den Gott mir schenkt. Ich habe Frieden mit meinen „Feinden“ gemacht und meinen Freunden und Eltern gesagt, dass ich Sie liebe. Ich bin offener und gefühlsbetonter geworden, stolz auf mein spätes Studium und den erreichten Abschluss. Dankbarer für alles Gute und bereit, auch schlechte Dinge zu akzeptieren. Ich würde gerne eine Arbeit finden, denn 1 Jahr krankgeschrieben zu sein ist nicht gut für mein Wohlempfinden. Man sucht ja immer nach Gründen, woher so eine Krankheit kommt, was man falsch gemacht hat, ob es erblich ist, und so weiter. Letztens las ich einen Artikel über den Zusammenhang von Rheuma und Entzündungen des Zahnfleisches. Ein anderer Artikel beschrieb, wie Krankheiten unter großem Stress ausbrechen können. Ja, beides traf auf mich zu: Ich hatte häufiger entzündetes Zahnfleisch oder auch schon mal einen vereiterten Zahn; auch stand ich wegen der anstehenden Prüfungen unter großem Stress. Ich kann daher jedem nur raten, auch wenn er etwas Angst vor dem Zahnarzt hat, sich sofort in eine gründlich Behandlung zu begeben. Hinterher ist man immer schlauer, wüsste man nur vorher wann genau hinterher ist.

Heinz h1murmel [at] aol [dot] com

August 2015