Tapas Geschichte

Ich bin weiblich und Jahrgang 1966. Den genauen Beginn der Krankheit kann ich nur schwer abschätzen. Bereits als Kind habe ich eine Tierhaarallergie, Pseudokrupp und Luftnot, nach der Abschaffung des Haustieres bin ich aber während meiner Jugendzeit gesund. Mit 18 Jahren habe ich eine schlimme Zahnentzündung im Oberkieferbereich, die operiert werden muss, mit starkem Antibiotikum behandelt wird und lange für die Abheilung braucht.

Während des Studiums bekomme ich mehr und mehr Verspannungen und Migräne, die bis heute immer wieder auftritt. Ich schiebe es auf Übermüdung. Es geht mir phasenweise nicht gut, aber eine Krankheit ist auch nicht konkret festzustellen.

Nach der Geburt meiner Kinder (1998 und 2001) bin ich zunehmend erschöpft und frage mich immer häufiger, wie es eigentlich die anderen Frauen schaffen mit Kindern, Haushalt und Beruf. 2002 bekomme ich eine heftige Mittelohrentzündung mit 40° Fieber, die aber fast völlig schmerzfrei ist. 2004 erkrankt meine Tochter, die ich über 6 Woche zuhause pflege, ich schlafe in der ganzen Zeit kaum mal 2 Stunden am Stück und habe meine Kraftreserven restlos aufgebraucht, kurz vor Weihnachten kippe ich im wahrsten Sinne des Wortes um. In der Folgezeit versuche ich mich mit 2 kleinen Kindern und einem 4-Personenhaushalt plus Garten so gut wie möglich zu erholen.

Auch nachdem ich mich einigermaßen erholt habe, habe ich das Gefühl körperlich nicht belastbar zu sein, ich fühle mich verbraucht und ewig müde. Regelmäßig lasse ich beim Arzt einen Gesundheitscheck machen, bei dem im Großen und Ganzen meistens alles in Ordnung ist, mal ist der Eisenspeicherwert schlecht, mal werden meine Probleme auf psychische Ursachen geschoben. Ich versuche, meine körperliche Belastbarkeit durch moderaten Sport zu verbessern, es schadet wohl nicht, aber es hilft auch nicht. Mein Kreislauf ist nicht besonders stabil, gelegentlich habe ich regelrechte „Abstürze“. Ich habe das sichere Gefühl nicht gesund zu sein, aber niemand findet eine Ursache.

Bereits seit 2002 habe ich ein juckendes Ekzem, drei Ärzte untersuchen, nehmen eine Gewebeprobe, aber finden ebenfalls keine Ursache, mir wird empfohlen Cortison zu nehmen. Es juckt vor allem nachts so heftig, dass ich über mehrere Jahre nicht richtig durchschlafen kann. Insgesamt verschlimmern sich die körperlichen Beschwerden zwar nicht, aber sie werden auch nicht besser. Ich bekomme allerdings einige Allergien, die ich vorher nicht hatte.

Im Winter 2011/2012 läuft mir aus der Nasenhöhle eine Flüssigkeit in den Rachenraum, aber nicht wie bei einer Erkältung, ich hatte so etwas vorher noch nie. Ich gehe zum Arzt, weil mir das nicht geheuer ist. Der Arzt vermutet eine -eventuell auch verschleppte- Nasennebenhöhlenentzündung. Anfang 2012 weist mein Zahnarzt mich darauf hin, dass relativ plötzlich bei allen Zähnen eine Parodontose vorliegt, besonders schlimm bei dem Zahn, der mit 18 operiert wurde, er ist bereits gelockert. Es folgt eine -sehr unangenehme- Lappen-Kurettage.

Ich bin immer erschöpfter. Ende April 2012 bekomme ich Fieber und meine Nebenhöhlen werden dichter. Fast immer habe ich Kopfschmerzen. Mitte Mai bekomme ich kaum noch Luft durch die Nase und das Fieber geht nicht weg, ich habe durchgehend etwa 38°-38,5°. Über das Wochenende haben wir ein paar Tage Nordsee gebucht. Dort liege ich nur im Bett, habe heftige Kopfschmerzen, die Nase ist ganz zu. Ein Arzt verschreibt mir ein Antibiotikum (Amoxicillin), das überhaupt nicht hilft. Mein Mund ist durch die Mundatmung ausgetrocknet, alles tut weh und die Zunge ist komplett trocken. Ich schlafe nicht mehr im Schlafzimmer, weil ich schnarche, nachts dauernd aufwache, Schmerztabletten brauche und nicht atmen kann.

Mein Hausarzt verschreibt mir ein anderes Antibiotikum (Cefuroxim), das auch nicht hilft. Er überweist mich zum HNO-Arzt. Der sieht in meine Nase und sagt, dass er so etwas noch nicht gesehen hat. Die Nase muss operativ „befreit“ werden, er schickt mich in die HNO-Klinik. Dort werde ich am 21. Mai aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt habe ich schon seit fast 4 Wochen Fieber.

Ich bekomme 5 Tage lang 3x tgl. 1500 Einheiten Antibiotikum intravenös, was auch nicht hilft. Die Kopfschmerzen sind inzwischen unerträglich, wie ein Junckie warte ich auf die nächste Schmerzmitteldosis (ich nehme inzwischen die Höchstdosis Diclophenac), sogar die Haare tun weh, es hat sich eine Heiserkeit entwickelt und meine Zunge ist schwarz und grün. Meine Nase ist jetzt seit drei Wochen ganz zu, ich kann weder riechen noch schmecken. Nachts bin ich schweißgebadet.

Letztlich werde ich trotz Fieber operiert und bekomme endlich wieder Luft durch die Nase. Ich bin aber geschwächt und habe wohl auch Einiges an Blut verloren bei der OP. Seit Beginn des Fiebers habe ich fast 10 Kilo abgenommen. Nach der OP schlafe ich wieder besser und auch die Kopfschmerzen sind fast weg, aber das Fieber bleibt. Am 29.5. werde ich aus der Klinik entlassen, mein HNO-Arzt verschreibt mir Cortison und mein Befinden bessert sich etwas.

Die nach der OP routinemäßig untersuchte Gewebeprobe ergibt den Verdacht eines Morbus Wegener (GPA). Der Hausarzt klärt die Diagnose ab und es steht fest. (Im Nachhinein betrachtet ist diese frühe Diagnose natürlich ein Segen.) Von einer bekannten Ärztin erfahre ich vom Klinikum Bad Bramstedt und vereinbare für Ende Juli einen Termin. Danach lese ich mich erstmal schlau. Was ist das eigentlich, Wegener? Im Internet finde ich keine besonders ermutigenden Berichte, eher Horrorgeschichten. Meine Familie ist sehr für mich da, aber natürlich auch verunsichert, weil niemand diese Krankheit kennt.

Mein Allgemeinzustand bessert sich etwas unter dem Cortison, während des Ausschleichens wird es wieder schlimmer, mehr Fieber, ich bin heiser und habe Angst. Mitte Juni bekomme ich Husten, er wird immer heftiger, ich bekomme Luftnot, nachts ist wieder nicht an Schlaf zu denken. Am 29. Juni -einem Freitag- ist die Luftnot so schlimm, dass ich beschließe vor dem Wochenende doch besser noch zum Arzt zu gehen. Mein HNO-Arzt hat zu, ich muss also ohne Termin zu einer anderen Ärztin gehen, die sehr freundlich ist, mich aber natürlich als Patientin nicht kennt und von Wegener auch wenig Ahnung hat, da es so selten ist, dass es im Praxisalltag eigentlich nicht vorkommt. Sie überweist mich in die HNO-Klinik, in der ich operiert wurde. Dort angekommen „tröstet“ mich der Arzt damit, dass ja zur Not ein Luftröhrenschnitt gemacht werden könnte. Er kann mir aber auch nicht weiterhelfen und schickt mich zurück zum Hausarzt. Da inzwischen Freitag Nachmittag ist, ist die Praxis bereits geschlossen und ich versuche in einer anderen Praxis einen Termin zu bekommen.

Der Arzt sagt mir gleich, dass er von Wegener keine Ahnung hat, ist aber sehr freundlich und interessiert und zugewandt und nimmt sich viel Zeit für ein Gespräch. Letztlich überweist er mich als Notfall nach Bad Bramstedt, wo ich abends um 20 Uhr fix und fertig ankomme.

In Bad Bramstedt bekomme ich abends sofort 70 mg Cortison, die bis zur Entlassung am 10.7. bis auf 40 mg und später langsam weiter bis auf heute 5 mg gesenkt werden. Zusätzlich erhalte ich -nachdem ich komplett untersucht wurde- 20 mg MTX (s.c.).
Ich fühle mich in Bad Bramstedt sehr gut aufgehoben, Ärzte und Pflegepersonal sind sehr aufmerksam und helfen mir immer, wenn ich Fragen habe. Und ich habe das erste Mal das gute Gefühl, dass da jemand ist, der von der Materie wirklich etwas versteht. Bei der Eingangsuntersuchung spricht die Ärztin von einer insgesamt normalen Lebenserwartung, riesengroße Erleichterung! Auch versorgt die Ärztin mich mit Lektüre über die Krankheit, mir hilft das sehr.

Bei meiner Entlassung bin ich das erste Mal seit fast drei Monaten fieberfrei und es geht mir stetig besser. Die Ärzte geben grünes Licht für einen Urlaub am französischen Atlantik im August. Ich darf zwar nicht ins Wasser, aber ich erhole mich körperlich und seelisch gut in der salzigen Luft, endlich verschwindet auch die Heiserkeit fast ganz.

Nach drei Monaten Krankheit, Gewichtsverlust und Angst erhole ich mich erst langsam, dann immer besser. Meine nicht mehr vorhandene Kondition baue ich mit kleinen Spaziergängen, kleineren und später wieder längeren Radtouren wieder auf. Inzwischen jogge ich wieder, mein Gewicht ist wie vorher und meine Belastbarkeit im Alltag ist eher besser als vorher. Ich achte allerdings darauf, mich nicht zu überlasten und sage häufiger mal etwas ab oder gar nicht erst zu. Und ich mache (fast) täglich eine Mittagspause. Und über den Winter hat sich auch die Seele erholt, auch dafür brauchte ich Zeit.

Heute geht es mir gut. Das MTX vertrage ich außer einer gelegentlichen leichten Übelkeit sehr gut. Ich achte -wie auch schon vorher- auf meine Ernährung und darauf meine Energie gut einzuteilen und bin besonders dankbar, dass bei meiner frühen Diagnose mein Körper noch gut in Ordnung ist. Die dauernde Erschöpfung ist praktisch ganz weg und ich habe nach einem langen Tag höchstens eine ganz normale Müdigkeit. Sogar die Parodontose ist so gut wie ausgeheilt, die Zähne wieder fest. Und mein Geruchs- und Geschmackssinn sind wieder vollständig erholt.

November 2013