Das grenzt ja fast an ein Wunder

von Alexa Hessemer

Mein Name ist Alexa Hessemer, ich bin 48 Jahre alt und an Cerebraler Vaskulitis erkrankt.
In Bingen am Rhein bei der Gründung einer Selbsthilfegruppe lernte ich Frau Helga Naujoks kennen. Freundlicherweise sendete mir Frau Naujoks sofort Informationsmaterial zu, und ich erklärte mich bereit, einen Artikel für den "Newsletter" zu schreiben.

Happy Birthday

Der 50. Geburtstag meines Ehemannes sollte Anfang Juni 2002 groß gefeiert werden.
Um den besonderen Tag auch genießen zu können, hatten wir alles rechtzeitig geplant, ich hatte ein paar Tage Urlaub eingereicht, und vor allem, die Feier sollte in einem Lokal stattfinden - kein Streß - keine Hektik.
Am 22.05.2002 erwachte ich morgens mit einem sogenannten "steifen Hals". Wird schon wieder, dachte ich, da ich schon seit sechs Jahren immer mal wieder Probleme mit der Halswirbelsäule hatte. Die Schmerzen wurden intensiver, und ich ging am nächsten Morgen zum Orthopäden. Am Samstag hielt ich es kaum aus vor Schmerzen, die Medikamente verschafften mir keine Linderung. Sonntagmorgen fuhr ich mit meinem Mann ins Krankenhaus. Mit Verdacht auf Bandscheibenvorfall wurde ich auf der Neurochirurgie stationär aufgenommen. Nach einigen Untersuchungen innerhalb der nächsten Tage stand fest, diesmal mußte es eine Operation sein.

Mein erster Gedanke war, hoffentlich bin ich zum Geburtstag meines Mannes wieder zu Hause. Am 04.06.02 wurde ich an der Halswirbelsäule operiert. Die Operation verlief planmäßig, die Ärzte waren zufrieden, und ich freute mich schon auf den Tag der Entlassung, da am Wochenende die Geburtstagsfeier stattfinden sollte.

Doch es sollte alles anders kommen.
Zwei Tage nach der Operation bemerkte ich ganz plötzlich, daß ich beim Lesen Schwierigkeiten hatte, die Buchstaben zu erkennen. Bei der Visite habe ich die Ärztin darüber informiert. Daraufhin wurde ich augenärztlich untersucht. Ein Gesichtsfeldausfall links wurde festgestellt. Am nächsten Tag wurden zusätzlich folgende Untersuchungen durchgeführt: MRT, Angio-MR, Dopplersonographie und eine cranielle Panangiographie. Mir wurde alles genau erklärt, doch verstehen konnte ich das Ganze nicht. Noch am gleichen Tag wurde ich von der Neurochirurgie auf die Neurologie verlegt.

Der Ernst der Lage, den ich bis dahin krampfhaft zu verdrängen suchte, wurde mir bewußt, als die Schwester mich in das Zimmer mit der Aufschrift "Schlaganfall Intensiv" (Stroke Unit) schob und mich an den Überwachungsmonitor und die anderen Geräte anschloß.
Mein einziger Gedanke war, hier raus, nach Hause. Mir ging es doch gut, ich hatte nur Schwierigkeiten beim Lesen, die Operation der Bandscheibe war gut verlaufen, die Ärzte zufrieden.
Die Stationsärztin informierte mich über die zusammengetragenen Untersuchungsergebnisse und die weitere Vorgehensweise. Eine hochdosierte Cortisontherapie wurde unmittelbar begonnen.
Zum ersten Mal nahm ich bewußt den Begriff Cerebrale Vaskulitis wahr.
Die nächsten Tage sollte ich nun auf der Neurologie verbringen.
Aber ich wollte doch morgen nach Hause, um am Sonntag den 50. Geburtstag mit meinem Mann und den vielen geladenen Gästen zu feiern. Da liefen natürlich die Tränen, und ich konnte, und vor allem ich wollte dies nicht akzeptieren.
Jedoch ich mußte bleiben, wo ich war, durfte nicht aufstehen - streng verboten!

Am nächsten Morgen, als mich mein Mann besuchte, der ebenso verwirrt war wie ich, erklärte ihm die Stationsärztin, daß Cerebrale Vaskulitis eine sehr aggressive Erkrankung sei und ich einen Schlaganfall bekommen könnte, wenn keine Behandlung erfolgen würde. Die Medikation mit Cortison und Endoxan wurde erläutert. Zum ersten Mal fiel das Wort Chemotherapie. Wir waren beide geschockt, ich fühlte mich so hilflos, so ausgeliefert.
Ich hörte mir das alles an, stellte Fragen, aber im Nachhinein glaube ich, daß ich wie in Trance reagierte, wie ein Roboter. Ich hatte das Gefühl, außerhalb meines Körpers zu stehen und dem Ganzen zuzuschauen. Erst nach ca. einer Woche begann ich langsam, die Situation zu begreifen, daß ich es war, um die es hier ging und ich betroffen war.
Die Ärzte/innen und die Schwestern waren alle sehr nett und fürsorglich, hatten ein offenes Ohr für meine Probleme, ich fühlte mich gut behandelt und betreut.

Die Geburtstagsfeier meines Mannes mußte zwangsläufig ohne mich stattfinden, da ich nicht wollte, daß er darauf verzichtete, wir hatten alles so schön geplant. Ich hatte einige Wochen vorher statt einer steifen Rede einen kleinen Sketch mit meiner Schwester vorbereitet. Meinen Part hatte meine Tochter mit großer Bravour übernommen. Es hat allen viel Spaß bereitet. In Gedanken war ich dabei.
Nach 10 Tagen durfte ich endlich nach Hause.
Einige Tage zuvor bekam ich die erste Dosis der Chemotherapie (Endoxan), zum Glück ohne größere Nebenwirkungen für mich. Die weitere Therapie wurde festgelegt:

Anfangs, nach der Entlassung aus der Klinik, fühlte ich mich hervorragend, doch nach zwei Wochen nahm meine Fitness rapide ab. Ich mußte immer öfter Ruhepausen einlegen, und ein Mittagsschläfchen war unumgänglich. Nach kleineren Arbeiten im Haushalt war ich schon fix und fertig. Tätigkeiten wie Lesen, Schreiben, Spazierengehen, am PC Arbeiten, Fernsehen oder auch längere Gespräche zu führen waren sehr anstrengend. Mich überkam ein Schwächegefühl, und ich fing an zu zittern. Es passierte des öfteren, daß ich einfach im Sessel so ein halbes Stündchen einschlief.

Zu Beginn der Erkrankung fiel es mir schwer, von "voll im Leben stehen" - Mutter, Hausfrau und Berufstätigkeit - auf Sparflamme herunterzuschalten.
Die Krankheit ließ mir jedoch keine Wahl.
Hilfe anzunehmen, darum zu bitten und vor allem mir selbst einzugestehen: "Allein schaffe ich das nicht", zu sagen: "Stop, jetzt brauche ich Ruhe, ich kann nicht mehr", mußte ich erst lernen.
Meine Familie hat mir sehr geholfen, es war und ist nicht einfach, da ich manchmal sehr eigensinnig, ruhelos und öfters ungeduldig bin. Es stört dann ja bekanntlich die Fliege an der Wand.
Heute, fast ein halbes Jahr später, brauche ich immer noch öfters ein kleines Schläfchen, und es gibt auch Tage, da bin ich nicht so fit, doch die werden seltener, so daß ich hoffen darf, wenn das Jahr mit der Cortison- und Chemotherapie vorüber ist, wieder ein normales Leben führen zu können.

Mittlerweile habe ich den 4. Zyklus der Endoxanbehandlung hinter mir. Die Ärzte sind mit dem Verlauf zufrieden, so daß ich numehr erst in drei Monaten zur nächsten Chemotherapie kommen muß.
Ein Arzt, der an mir die Ultraschalluntersuchung vom Herzen (vor jeder Chemotherapie notwendig) durchgeführt hat, brachte es auf den Punkt:
"Sie haben großes Glück gehabt, das grenzt ja fast an ein Wunder."
Dem kann ich nichts hinzufügen.

zurück