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Das Leben mit einer seltenen Rheumaerkrankung meistern
Mein Name ist Andrea S., ich bin 51 Jahre alt und wohne im Rhein-Lahn-Kreis.
Es fing alles ganz "heimlich" an. Schleichend schmerzten die Fingergelenke, plötzlich war es das Fußgelenk, dann war alles wieder verraucht. Irgendwie fühlte ich mich seit Frühjahr 2004 so schwach, abgeschlagen, im absoluten Leistungstief. Der Besuch beim Rheumatologen ergab lediglich einen erhöhten Rheumafaktor, der sehr unfreundliche Arzt meinte, ich sei kerngesund. Der Besuch bei einem zweiten Rheumatologen fiel schon etwas anders aus: die Rheumatologin meinte, es könne sich noch was entwickeln, der sehr hohe Rheumafaktor sei nicht einfach zu ignorieren und verordnete mir Quensyl.
Zwei Jahre später kam wieder diese große Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Nachtschweiß und Gelenkschmerzen ohne Schwellungen. Ich war damals als Krankenschwester und Studienassistentin in einer onkologischen Schwerpunktpraxis beschäftigt. Meine Chefs schickten mich zur Beurteilung der Gelenke in die Wilhelm-Fresenius-Klinik, die Rheumaklinik der Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden zu Frau Prof. Maerker-Hermann. Obwohl die Ärzte dort sehr gestresst wirkten und viel zu tun hatten, waren sie sehr freundlich, kompetent und gründlich. Eine Sonographie aller schmerzhaften Gelenke zeigten überall Ansammlungen von Ergüssen trotz fehlender Entzündungszeichen im Blut. Dazu quälten mich trockene Schleimhäute, vor allem der Augen und wenige Tage später hatte ich Herzschmerzen mit Ausstrahlung in den li. Arm und Unterkiefer. Eine Vorstellung beim Kardiologen erbrachte dann die Gewissheit: die kleinen Herzkranzgefäße waren rheumatisch entzündet, eine doch recht bedrohliche Komplikation! Zunächst spritzte ich MTX, leider ohne Erfolg, dann erhielt ich Endoxan, ein Chemotherapeutikum in Tablettenform, was mir zwar Linderung der Beschwerden brachte, aber eine noch größere körperliche Leistungseinschränkung. Dazu stellte sich plötzlich eine äußert schmerzhafte Nervenbeteiligung im linken Arm ein mit teilweiser Lähmung, ich konnte den Arm nicht mehr hochheben. Ich kam in die Rheumaklinik Bad Bramstedt, wo ich 4 Wochen behandelt wurde. Man sagte mir, dass ich eine sehr seltene, aber lebensbedrohliche Komplikation hätte, nämlich eine Vaskulitis der kleinen Herzkranzgefäße und der peripheren Nerven bei atypischer rheumatoider Arthritis bzw. Mischkollagenose hätte. Nach meinem Klinikaufenthalt startete ich eine Wiedereingliederung, die kläglich scheiterte. Meine Tätigkeit füllte mich sehr aus, ich war mit Leidenschaft bei der Arbeit, hatte nette Kolleginnen, Chefs mit hoher menschlicher und fachlicher Kompetenz. Aber die mir so vertraute Leistungsfähigkeit und Kraft, die ich immer hatte, stellten sich nicht mehr ein, die Konzentrationsfähigkeit ließ immer mehr nach, ich machte Fehler, aber mein Anspruch an mich war nach wie vor groß! Ich wollte mit aller Kraft wieder so agieren wie vorher, ich strengte mich an, zwang mich trotz großer Müdigkeit zu jeder Handlung, überwand mich, den Arbeitsweg mit Fahrrad und Zug auf mich zu nehmen und spürte überhaupt nicht, was ich mir da antat. Ich redete mir ständig ein: das wird schon wieder! Kollegen rieten mir, ich solle mich doch lieber krank schreiben lassen, eine sprach sogar, wie auch meine Hausärztin, vom Rentenantrag! Da wurde ich unheimlich wütend, ich fühlte mich verraten, abgehakt, vergessen, überflüssig…Meine Herzbeschwerden ließen mich nicht in Ruhe, sie machten den Arbeitsalltag fast unmöglich, mein Blutdruck war hoch, nach kurzer Anstrengung wurde mein Kopf feuerrot und blieb es auch, ich hatte Luftnot, und eines Morgens meldete sich mit heftigsten Schmerzen der schon einmal teil gelähmte Arm wieder. Die Rheumatologin veranlasste sofort eine Behandlung mit Kortison und Chemotherapie, und was das schlimmste war, meine Arbeitgeber vereinbarten mit mir einen Gesprächstermin. Ich hatte große Angst, meine Arbeit zu verlieren. Freundlich, aber bestimmt erläuterten sie mir die Ernsthaftigkeit meiner Erkrankung und dass sie sowohl als Arbeitgeber als auch als Ärzte eine soziale Verantwortung mir gegenüber hätten. Sie "drängten" mich, zu Hause zu bleiben und die Rente zu beantragen. Da kam der totale Zusammenbruch. Ich konnte es nicht glauben, ich verdrängte immer noch, ich bezweifelte die Diagnose, ich hatte große Angst, der Rentenantrag würde abgelehnt. Als erstes trat ich dem VdK bei und stellte mit dessen Hilfe unter Tränen den Rentenantrag. Diesem wurde auch sehr rasch entsprochen und das Versorgungsamt stellte mir einen Schwerbehindertenausweis mit 80 GdB aus. Auf der einen Seite erzeugte dies Erleichterung, andererseits war ich erst recht am Boden zerstört. Also tatsächlich schwer krank – und berentet! Ich wollte mich einfach nicht abfinden…
Ich begann eine Gesprächstherapie, die mir sehr gut tat. Hier lernte ich allmählich die Zusammenhänge zwischen meiner Biographie und meinen Ängsten kennen, ich verstand, warum ich diese Situation so niederschmetternd erlebte. Außerdem entdeckte ich Ressourcen, aus denen ich Kraft schöpfen und neue Tätigkeitsgebiete erschließen konnte. In meiner Familie konnte ich Halt und Bestätigung erfahren, ich fasste langsam wieder Mut und Zuversicht, und mit der Zeit begann ich, in der Krankheit neue Chancen für die Zukunft zu sehen. Das alles war ein langer und schmerzhafter Prozess, der immer wieder von Rückschlägen unterbrochen wurde und der auch immer noch nicht ganz abgeschlossen ist. Es gab Tage, da brach ich schon beim Frühstück in Tränen aus, doch die wurden immer seltener. Ich hatte ja nun viel Zeit zur Eigenreflexion. Nachdem sich durch die neuen Medikamente mein körperlicher Gesundheitszustand besserte, begann ich, die kleinen Dinge des Alltags zu genießen, wie z.B. auf dem Wochenmarkt einzukaufen, das genussvolle Kochen, hatte ich doch während der Berufstätigkeit dazu nie Zeit gehabt! Und täglich entdeckte ich neue Möglichkeiten, mir den Alltag so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich empfand es als Luxus, morgens den Tag nach eigenen Wünschen und Befinden zu gestalten, geliebte Spaziergänge ganz bewusst zu genießen, Besuche zu zelebrieren! Als Rentnerin besorgte ich mir die Bahncard 50 für die Hälfte des Preises und besuche nun öfter Freunde und Geschwister.
Wenn mir Kollegen vom immer stressiger werdenden Arbeitsalltag und den kleinen Ärgernissen erzählten, so schwand ganz allmählich der Trennungsschmerz, im Gegenteil, die Kollegen taten mir fast leid. Manchmal spüre ich regelrecht Erleichterung, dass ich das nicht mehr mitmachen muss.
Das gemeinschaftliche Musizieren im Orchester macht mir trotz eingeschränkter Kraft wieder Freude, Schritt für Schritt wurde mir klar, dass ich keine Höchstleistungen bringen muss, um Spaß zu haben. Im Sommer 2008 begann ich eine Tätigkeit als Stadtführerin in meinem Wohnort, der einiges an Historie zu bieten hat. Es macht mir sehr große Freude, mich mit der Literatur zu befassen, in Kontakt mit den Feriengästen zu treten und sie für die Schönheit unserer Stadt und Umgebung zu begeistern, ihnen die Historie anschaulich nahe zu bringen.
Meine Leidenschaft fürs Theaterspiel lebe ich im Rahmen meiner Möglichkeiten weiterhin aus. Ich gehöre dem einzigen Amateurtheater Deutschlands an, welches ausschließlich römische Komödien in historischer Kulisse aufführt. Natürlich reicht es kräftemäßig nicht mehr für eine Hauptrolle, aber so bin ich auch ohne großen Leistungsdruck nicht von diesem Hobby ausgeschlossen.
Sprachen haben mir schon immer Freude gemacht, so betreue ich nun eine Nachhilfeschülerin in Englisch und Französisch, selber besuche ich wöchentlich die Italienischstunde. Im Rahmen eines Ehrenamts habe ich an der Grundschule eine Vorlesepatenschaft für ein Mal pro Woche angenommen.
Das alles gelingt natürlich nicht ständig, ich muss genau auf meinen Körper hören und merke sofort jegliche Überforderung! Es ist immer eine Gradwanderung, aber genau dieses genaue Hinhören, die Wahrnehmung, die Erfahrungen, was geht und was nicht, lehrt mich, das richtige Maß zu finden.
Mein soziales Umfeld ist oft sehr erstaunt, wenn ich sage: "Das kann ich nicht!" (Dieser Satz geht mir jetzt endlich leichter über die Lippen…) Oft heißt es: "Das sieht man dir gar nicht an, bist du wirklich so krank?" Anfangs war es ein Kraftakt, mich immer wieder zu rechtfertigen, aber mittlerweile erkläre ich zwar schon kurz das Krankheitsbild, aber auch nicht mehr. Ich bitte die Menschen um mich herum einfach nur noch: "Auch wenn ihr es nicht versteht, bitte akzeptiert es!"
Kurz vor Weihnachten 2008 ereilte mich wieder ein akuter Schub mit Herzbeutelentzündung; nun musste ich sogar eine intravenöse Chemotherapie über 6 Einzelgaben antreten, die ich erst letzte Woche beendet habe. Die Heimtücke ist wieder da, die Krankheit ist unberechenbar, die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit wieder unbarmherzig nahe, aber das ist das Leben. Das ganze Leben ist immer und für jeden unberechenbar, egal ob mit oder ohne Krankheit. Das habe ich begriffen. Ebenso begriffen habe ich die Krankheit als neue Chance, als neue Sichtweise der Dinge. Die Wege, die ich früher gegangen bin, kann ich nicht mehr alle gehen, aber der Unterschied ist: ich bin nicht mehr so traurig darüber! Ich gehe andere Wege, habe andere Ziele mit einem anderen Tempo, es sind neue Wege!Und ich möchte jedem Betroffenen Mut machen und wünschen, einen solchen eigenen Weg auch zu sich zu finden!
zurück | aktualisiert am 07.04.2009 |