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Hallo,
ich heiße Anja, und ich wohne in Hamburg.
Oktober 2019 wurde bei mir eine zerebrale Vaskulitis diagnostiziert. Angefangen hat alles so etwa im August 2019, mir schliefen immer mal wieder kurz ein Bein, ein Arm oder die Hand ein und das verschwand ganz schnell wieder. Ich hatte wohl jede Menge TIAs, die ich überhaupt nicht als Vorboten eines Schlaganfalls erkannt habe. Ich bin noch fröhlich mit dem Auto 1600 km in die Bretagne gefahren, auch dort hatte ich einige kleine „Ausfälle“ …plötzlicher Kontrollverlust der Beine etc., plötzlich hat man keinen festen Boden mehr unter den Füßen. Aber es ging eben immer ganz schnell vorbei (wenn ich bedenke, was alles hätte passieren können!!!, da geht das Kopfkino los. Nach einem Arzttermin, bei dem ich das Phänomen eher beiläufig geschildert hatte, ging ich auf Anraten des Arztes ins UKE (Hamburg) und schilderte dort in der Notaufnahme meine Symptome, das war am 11.10.2020....die haben mich gleich dabehalten und auf der Stroke Unit einquartiert, angeschlossen an zig Monitore. Bis dato hatte ich nur TIAs und noch keinen Schlaganfall. Wenn einem mal der Arm oder das Bein einschläft und nach ganz kurzer Zeit (ein paar Minuten) ist alles wieder normal, denkt man doch nicht an einen Schlaganfall... so ging es jedenfalls mir. Auf jeden Fall wurde ich in der Stroke Unit komplett durchgecheckt, jeden Tag das gleiche Spiel, Arme ausstrecken, Beine anheben, „die Katze tritt die Treppe krumm“ aufsagen und sagen wie alt man ist. Ich hatte immer mal wieder ein paar Aussetzer. Einige MRTs, einem CT und einer Kernspintomographie sowie einer Lumbalpunktion später und nach einer Hirn-Biopsie standen plötzlich da die Ärzte und staunten mich an und eröffneten mír, dass ich mir etwas ganz Seltenes ausgesucht habe: Zerebrale Vaskulits! Toll, da hätten sie mir auch sagen können: Sie haben lkaslkjvckxyijyi…der Effekt wäre der gleiche gewesen. Natürlich konnte ich damit erst einmal überhaupt nichts anfangen und schaute ratlos in die Runde. Entzündung sämtlicher Blutgefäße im Gehirn! Das habe ich erst danach so langsam herausbekommen, damit kann der Laie ja wenigstens was anfangen.
Manchmal hatte ich „Ladehemmungen“, d. h., dass was ich sagen wollte, kam nicht richtig raus. Das hat mir schon schwer zu schaffen gemacht. Ich weiss noch, dass ich im Bett saß, meine Mutter, mein Mann und meine Freundin…alle waren sie da und ich wollte was sagen und es kam nur Quark aus dem Mund. Das bringt einen schon zum Heulen. Gott sei Dank war der Spuk schnell vorbei. Da es mir aber sonst gut ging und ich auch völlig mobil war, wurde ich nach kurzer Zeit (ca. 1 Woche) in ein Zweibettzimmer (ohne Monitore) verlegt und dachte, jetzt geht's demnächst in die Reha... Pustekuchen! Meine Bettnachbarin wurde nach Hause entlassen, ich war also 1 Nacht alleine im Zimmer und da hatte ich prompt einen richtigen Schlaganfall! Wie sollte es auch anders sein, kaum ist man mal alleine im Zimmer, passiert sowas. Ich weiß nur noch, dass ich nachts zwischen Bett und Heizkörper auf dem Boden wach wurde und mich nicht bewegen konnte, außer Kopf heben... konnte auch nicht nach der Schwester klingeln, auf dem Boden gibt es ja keine Vorrichtung zum Klingeln.... Irgendwann nachts hat dann mal eine Schwester reingeschaut und mich am Boden gefunden. Da war Holland in Not! (Ich sah hinterher aus!!! Grün, violett, gelb, meine Gesichtshälfte, die auf den Heizkörper geknallt ist, war echt hübsch danach, noch Wochen später.Ich wollte anscheinend doch nur auf die Toilette und dann das. Hätte auch schlimmer ausgehen können… Auf jeden Fall ging es stante pede wieder zurück auf ein Intensivzimmer mit Monitoren etc. (und Blasenkatheter …). Ich kann euch sagen, für mich gibt's nichts Schlimmeres als einen Katheter... muss sowieso ständig auf die Toilette von wegen schwache Blase und so und dann kommt so ein Katheter, da hat man quasi ständig schon den Druck als ob man auf die Toilette muss, aber der Katheter wird erst gewechselt, wenn er fast voll ist... je voller desto schwerer desto mehr Druck...könnt ihr euch ja vorstellen. Ich bekam eine Stoßtherapier mit Cortison, die hat aber nicht richtig angeschlagen, deshalb wurde auf Cyclophosphamid umgestellt. Ich fand das sehr beängstigend, denn es hieß, es wäre eine abgeschwächte Chemo… man denkt bei Chemo ja immer sofort an Krebs.
Nach diesem Schlaganfall konnte ich auch zuerst nicht mehr richtig sprechen, das hat mir schon Angst gemacht, ansonsten war meine linke Seite betroffen, von wegen Beweglichkeit und so. Was hab ich meine Mitpatienten beneidet, sie konnten aufstehen, ins Bad und auf die Toilette….und ich war gefesselt ans Bett mit dem Erzfeind „Katheter“. Ein paar Tage später durfte ich mit Hilfe eines Physiotherapeuten, erst mit Hilfe von 2 Therapeuten, dann nur noch mit einer Therapeutin langsam wieder den Flur erkunden. Man kommt sich echt so hilflos vor, man schafft die einfachsten Sachen nicht mehr alleine. Aber auch das wurde besser.
Nach ca. 3 Wochen auf der Stroke Unit im UKE in Hamburg (Ärzte, Pflegerinnen waren bis auf ein oder zwei Ausnahmen hervorragend und sehr bemüht) kam ich in die Frühreha nach Wilhelmsburg. Da war ich aber echt völlig fehl am Platze... na ja, die Therapeuten hats gefreut, endlich mal jemand, mit dem man arbeiten kann . Die Patienten dort waren durch die Bank weg bettlägerig, konnten weder sprechen, laufen, sich selbst versorgen. Dagegen war ich ja fast ein Exot. Zu der Zeit hatte ich das Gefühl, dass meine Extremitäten nicht zu meinem Körper gehörten. Hat sich Gott sein Dank gelegt, nur links ist das Gefühl immer noch da, nicht mehr so stark, aber da. Wenn ich mich mit links unbeabsichtigt irgendwo am Körper berühre, ist es manchmal wie „Ihhh, da hat mich was berührt“. Ich merke nicht, dass ich selbst es bin. Ganz merkwürdiges Gefühl!
Vom Vorläufer des Rollators ging es Ratzfatz über zum Rollator und dann zum Stock. Dann wurde geübt, wieder Treppen hoch und runter, aber nach 10 Tagen konnte ich endlich in eine "normale" Reha und es ging zurück ins UKE, in den Ableger der Rehaklinik von Bad Bramstedt. Da blieb ich ganze 8 Wochen (Weihnachten ging letztes Jahr spurlos an mir vorüber).
Als Therapie bekam ich alle 4 Wochen stationär im UKE Cyclophosphamid als Infusion (6 mal) und jetzt muss ich mir für die nächsten 2 Jahre jede Woche 1 x MTX 15 mg spritzen und nehme natürlich täglich ASS100 und Clopidogrel (Blutverdünner), abends gibt's Atorvastatin. Das Cyclophosphamid stellte sich als Wundheilungshemmer heraus und hat verhindert, dass meine Narbe am Kopf von der Biopsie nicht heilen wollte. Ich hab den Ärzten ständig gesagt, dass die Wunde nicht richtig heilt, aber erst nach 2 Monaten hat im UKE dann doch mal ein Neurochirurg richtig draufgeschaut und auf einmal hieß es „Not-OP“. Na ja, hab ich gedacht, soooo eilig ist es doch nun auch nicht :-D. Aber siehe da, ich wurde sogar an einem Sonntag operiert, es war ein Keim auf der Platte, die das Loch verschließen sollte, Platte entfernt und erst einmal ohne Platte wieder zugenäht. Jetzt hab ich ein Loch im Kopf :-D, aber die Narbe ist schön verheilt. Nur ärgerlich, dass da doch mal wieder eine Platte rauf muss, das werde ich aber erst im Herbst machen lassen…. Ich hatte nach den Chemo-Zyklen absolut keine Lust mehr auf Krankenhaus und die Ärzte haben gesagt, dass man das auch später machen könnte. Blöd ist auch, dass die Stelle am Kopf großräumig taub ist durch das ganze Rumgeschnippel… Aber es gibt Schlimmeres, nicht wahr?
Zurzeit befinde ich mich durch das MTX in einem "Dauer"-Schunkel-Zustand. So richtig festen Boden unter den Füßen hab ich nicht, ich schwanke so durchs Leben, ist ein bisschen nervig, aber noch mehr stört die Taubheit der linken Körperhälfte. Ich stolper gern über meinen linken Fuss oder hab Schwierigkeiten, links etwas zu halten oder auch nur die linke Jackentasche zu finden, ich spür sie halt nicht . Mir ist mein Fingerspitzengefühl links völlig abhanden gekommen. Ich hatte das Gefühl, dass das während der Reha und der Nachsorge schon besser war, jetzt durch das MTX aber wieder schlechter geworden ist. Festgestellt habe ich auch, dass ich viel reizbarer geworden bin, denn wenn etwas nicht klappt, so wie es vorher geklappt hat, ist meine Reizschwelle echt nicht mehr sehr hoch. Ungeduld ist mein zweiter Vorname geworden :-D. Ansonsten muss ich sagen, dass ich das Gefühl habe, noch mit einem blauen Auge davongekommen gekommen zu sein, denn soweit geht es mir gut. Hätte auch schlimmer kommen können, wenn ich die Berichte der anderen Patienten lese. Ich hoffe, dass ich nicht wieder Ausfälle bekomme, beim letzten MRT liest sich der Befund gruselig,…von wegen „rezidiv“ und „imponierende Marklagerläsionen“… tja, was soll man davon halten, wenn man eh nicht genau weiß, was das alles bedeutet. Wenn man sich vor Augen hält, dass man jetzt unheilbar krank ist, es aber niemand einem ansieht….Vielleicht hab ich ja Glück und ich bekomme keine Rückfälle, jetzt wüsste ich die TIAs ja zu deuten. Mitte Juni hab ich den ersten Termin in der neuroimmunologischen Ambulanz vom UKE, mal schauen, wie das da abläuft.
Nach meiner Eingliederung arbeite ich jetzt wieder Vollzeit als Fremdsprachensekretärin. Das Tippen mit 10 Fingern geht solala, da ich ja links nicht wirklich was fühle. Aber es gibt ja die Korrekturtaste :-D. Gott sei Dank steht mir mein Göttergatte stets zur Seite und hilft wo er kann. Er hat mit mir Situationen durchlebt, da kann ich nur sagen „Hut ab“, da wäre manch einer völlig überfordert gewesen. Aber er ist mein Fels in der Brandung (den hab ich mir gut ausgesucht! :-D).
So schaut es aus mit meiner zerebralen Vaskulitis. Vielleicht gibt es ja hier welche unter euch, die auch dieses seltene Exemplar einer Vaskulitis haben, dann würde ich mich über einen Austausch freuen.
Anja
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20.06.2020