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Es ist März und endlich beginnt meine Superzeit.
Dieses Jahr habe ich meinen gesamten Jahresurlaub an einem Stück genommen. Vier Wochen, davon zwei Wochen Djerba, all inclusive – mit Poolbar. Es wird auch wirklich höchste Zeit, so urlaubsreif habe ich mich noch nie gefühlt und mit diesen miesen Gelenkschmerzen, den Schweißausbrüchen, den ständigen Infekten und der dauerblutenden Nasennebenhöhlenentzündung macht arbeiten besonders wenig Spaß. Habe wohl ein bisschen mit dem krank arbeiten gehen übertrieben und die eine oder andere Geschichte verschleppt. Aber egal, was alleine kommt geht auch wieder von alleine, vor allem bei den ganzen Wochen Urlaub.
Die Gelenkschmerzen werden allerdings langsam aber sicher doch etwas heftig, heute sind es beide Knie und laufen klappt irgendwie nur so halb. Ich beschließe doch mal, jetzt wo ich soviel Zeit habe, zu meinem selten gesehen Hausarzt zu gehen. Ich mag Arztbesuche nicht besonders.
Ich beschreibe meinem Hausarzt nur die merkwürdigen Gelenkschmerzen, die mich seit ca. zwei Wochen plagen, denn für die anderen Wewehchen habe ich ja schon eigene Erklärungen. Die Schmerzen hüpfen über Nacht von Gelenk zu Gelenk, mal Handgelenke, mal linkes Knie, am nächsten Tag das rechte Knie und so weiter. Der Dr. beschließt, mich für übermorgen nüchtern zur Blutabnahme zu bestellen. Während ich nach Hause humple und ca. zwanzig Minuten für 15 Stufen benötige, ärgere ich mich, dass ich jetzt sogar zweimal zum Arzt muss und dann auch noch morgens und das im Urlaub.
Es vergehen weitere drei Tage nach der Blutabnahme, die ich, weil ich irgendwie nur noch müde bin, bald vollständig im Bett verbringe, bis ich dann Montag schon wieder, ein drittes Mal zum Hausarzt muss, diesmal um mir die Ergebnisse meiner Blutuntersuchung abzuholen. Im Arztzimmer Platz genommen eröffnet mir mein Hausarzt, dass meine Blutwerte massiv auffällig sind. "Verdreißigtfache Rheuma- und Entzündungswerte, dass muss abgeklärt werden – im Krankenhaus". Darauf war ich nicht gefasst, aber ich willige natürlich ein, aber erst morgen, verhandle ich.
Kaum im Krankenhaus angekommen frage ich mich ernsthaft, was ich hier soll, ich bin doch topfit, die Diclofenac Tabletten haben doch super geholfen und ich bin super fit.
Jetzt liege ich hier im Krankenhaus neben einem prefinalen Krebspatienten und einem halluzinierenden Alkoholiker im Delir der mitten in der Nacht versucht, Zwerge unter meinem Bett zu fangen und diese auf Russisch beschimpft.
Als eine Woche zu Ende ist und ich jeden Tag drei bis vier Untersuchungen über mich ergehen lassen musste, handle ich mit meiner Stationsärztin aus, das ich, unter der Prämisse am Montag ambulant zum Gespräch wiederzukommen, nun erst mal nach Hause darf. Warum auch nicht, bin doch super fit.
Am Montag schlendere ich etwas wankend hinter meiner Krankenhausärztin her. Während diese einen freien geeigneten Raum für ein ernsthaftes Gespräch sucht, versuche ich nach Luft zu schnappen und nicht zu kollabieren, bis mich der Stuhl so halbwegs rettet.
"Tja, sie sind kein einfacher Fall, ich habe die restlichen Blutergebnisse jetzt hier" eröffnet sie und erklärt mir, dass in meinem Blut neben einer bakteriellen Staphylokokken Superinfektion ein hartes Indiz für eine Vaskulitis gefunden wurde; die sogenannten "C-ANCA`s". "Das ist eine ersthafte Erkrankung und ich lasse sie jetzt auch nicht wieder gehen" schließt sie ihre kleine Rede an meine Vernunft ab. Mittlerweile glaube ich ihr aber wirklich vorbehaltslos, dass ich in ein Krankenhausbett gehöre. Mit nächster Woche Djerba – all inclusive – mit Poolbar wird’s nichts. Der sich immer noch etwas drehende Raum und der Schweiß der von meiner Stirn tropft sind schlagend gute Argumente. Nach einer knappen Woche, in der ich erst mal nur gegen die bakterielle Superinfektion und symptomatisch behandelt werde bekomme ich für 10 Uhr einen Termin in einem anderen Krankenhaus, mit HNO Abteilung, welche über die notwendigen Mittel für eine Diagnose sichernde Nasenbiopsie verfügt. Denn ohne sichere Diagnose können die Ärzte nicht mit der Therapie loslegen. Als ich dann um 12 Uhr in völlig "durchgebratenem" Zustand endlich zum Arzt vorgelassen werde staune ich nicht schlecht. Ohne sich vorzustellen oder mich auch nur irgendwie zu begrüßen eröffnet der genervt wirkende HNO Arzt mir, nachdem er sich kurz angebunden so halbwegs anhört warum und womit ich ihn belästige, mit einigen aggressiv gezischten Sprüchen, wie: "Beine weg da", "Ja, einfach weiter atmen, dann muss man auch nicht brechen", und nachdem er mir allerhand Metallwerkzeuge in diverse HNO Öffnungen rammte, dass er bei meiner ungepflegten Nasenschleimhaut überhaupt nichts sehen kann. Ich entschuldige mich für meine Nase und versuche zu erklären dass die Nase seit eineinhalb Jahren zu ist und ca. alle Stunde blutet und nach jedem Nase putzen erst recht blutet.
"Zeig mal wie du deine Nase pflegst" befiehlt er mir und ich, als sein kleines Äffchen mache es ihm vor. Ich bin einfach zu schlapp mich zu wehren. Stolz demonstriert er mir anschließend lehrmeisterhaft das eine Tube Bepanthen Nasen und Augensalbe locker in ein einziges Nasenloch passt und kommentiert mit einem arroganten "so macht man das, und jetzt mal die Nasenflügel zusammendrücken und die Nase hochziehen". Als ich gehorche und mir die Suppe aus Bepanthen und Blut aus der Nase läuft, schreit er laut auf "bahh, doch nicht mit den Händen, igitt ey". Als ich ihn frage womit denn sonst, entgegnet er angewidert, dass ich ihn ja ruhig mal nach einem Tuch hätte fragen können, dann hätte er mir eins gegeben. Danach erklärt er mir noch einmal, dass er da nichts biopsieren könne, er sieht nichts bei dem ganzen Altblut.
"Du machst jetzt erst mal die Nasenpflege wie ich sie dir gezeigt habe, 12 mal am Tag und dann kommst du nach drei bis vier Wochen wieder und ich guck nochmal". Ich frage ihn ob ich, wenn ich Wegener haben sollte, dann nicht vielleicht schon dialysepflichtig sein könne und wie er sich das vorstellt, dass ich bis zu meiner Diagnosesicherung weiter im Krankenhaus unbehandelt liegen soll. Er entgegnet mir auf gewohnt infantilisierende Weise dass ich mal ruhig bleiben solle und dass ich vielleicht auch einfach nur trockene Nasenschleimhäute hätte. Während ich ihm hinterher rufe, das es mir seit zwei Wochen jeden Tag ein Riesenstück schlechter geht und ich nicht wissen will wie es mir in drei bis vier Wochen geht bei dem Tempo, verlässt er kittelschwingend den Raum.
Zwei Tage später wird mir, nachdem ich aus meiner Bronchoskopienarkose wach werde, erklärt dass ich nicht bronchoskopiert werden konnte, weil sie nicht durch die Nase gekommen sind, dort aber kräftig mit dem Bronchoskop Proben von den auffälligen Ulcera in meiner Nase nehmen konnten und schon morgen das Ergebnis vom Pathologen erwarten.
Am Abend geht’s mir richtig schlecht, ich kann nicht mehr auf der Bettkante sitzen oder aufstehen weil ich sonst sofort kollabiere. Wenn ich es versuche ist es ein Gefühl als läuft mir das Herz leer und ich bekomme keine Luft mehr. "Nun bin ich doch tatsächlich bettlägerig", denke ich, womit ich als Altenpfleger natürlich so einiges assoziiere.
Am nächsten morgen bekomme ich meine Morbus Wegener Diagnose und am Abend, nach einem ausführlichen Arztgespräch, welches, wie sich später rausstellen sollte, leider sehr lückenhaft und sehr optimistisch formuliert war, meine erste Kausaltherapie – das klassische zur Zeit wohl angesagte Verordnungsschema: 150mg Endoxan Tabletten, 80mg Prednison. "Das nehme ich jetzt eine Weile und bin wieder fit", freue ich mich. Das Endoxan ist zwar eine kleine Chemotherapie, aber ich kann trotzdem arbeiten gehen und meine Erkrankung wäre noch nicht so generalisiert, bekomme ich bei der Visite erklärt. Ich muss halt unbedingt vom Rheumatologen weiter behandelt werden und mir einen Haufen anderer Fachärzte suchen, die gucken, was bis Therapiebeginn alles angerichtet wurde vom Wegener, bzw. ob die im Krankenhaus was übersehen haben. Aber nach ‘nem halben Jahr ist der ganze Zauber vorüber, bis dahin sollte ich keine Kinder zeugen, wegen der Erbgutschädigung durch das Endoxan. Das waren die Informationen die ich raus gehört hatte. Dass es Selbsthilfegruppen gibt, bei einer Krankheit die zwar echt mies verlaufen kann aber doch so super heilbar ist, hat mich zwar verwundert aber wurde geschickt verdrängt. Sind wohl härtere Fälle als meiner, denke ich, bei denen wurde das halt nicht so super früh entdeckt wie bei mir.
Innerhalb von zwei Tagen geht es mir wieder so gut, dass ich wieder stundenweise in der Cafeteria sitzen kann. An meinem 28. Geburtstag wurde ich entlassen. Wurde ja auch Zeit, 18 Tage voller Grauen und Bettnachbarnterror. Ende gut alles gut denke ich und ziehe erst mal für ne Woche oder so zu meiner Mutter, bis ich wieder gut einkaufen gehen kann und so weiter.
Ach ja, da war ja noch was, erfahrenen Rheumatologen suchen für die Therapieverlaufskontrolle war ja mit der Stationsärztin abgesprochen. Ich bin dankbar für die Rheumaliga Telefonliste, denn Rheumatologen gibt’s scheinbar wirklich nicht wie Sand am Meer. Meine Stadt zählt 580597 Einwohner und es gibt hier ganze drei Rheumatologen, die mir allesamt Termine im Sommer anbieten trotz dramatischen Fallschilderungen. Zehn Anrufe im ganzen Ruhrgebiet später bin ich immer noch nicht weiter. Die nächsten Termine gäbe es erst nach vier bis acht Wochen. Die Sprechstundenhilfe bei einem Rheumatologen in einer Nachbarstadt stellt mir wenigstens in Aussicht, dass sich ggf. was machen ließe, wenn mein Hausarzt persönlich anruft, was er auf meine Bitte hin auch tut und mir prompt einen Termin für den nächsten Tag verschafft, nicht schlecht.
Doch schlecht, denn die Rheumatologin, die sich eine ganze Stunde für mich Zeit nimmt, sagt mir, sie müsse mich "klinisch anbinden" und die Therapie sei schon viel zu lange unüberwacht. Nebst der Tatsache, dass ich inzwischen ein bisschen Blut huste, denke ich mir, kann doch nicht wahr sein, jetzt biste fast wieder ganz gesund und musst doch nochmal ins Krankenhaus. Halt bis auf das bisschen Bluthusten.
Also auf ins Rheumazentrum Ruhrgebiet in Herne. Jetzt liege ich wieder fast kerngesund im Krankenhaus, denke ich. Einige unangenehme Untersuchungen, die aber alle positive Ergebnisse, im Sinne von gut, ergaben und einigen relaxenden Anwendungen später, die zwar die Djerba – all inclusive – Poolbar nicht wirklich adäquat ersetzten können, aber zusammen mit meinem, durch volle Belegung glücklicherweise erworbenem Einzelzimmer den Aufenthalt wirklich nicht so schlimm machten, klärt mich mein neuer Stationsarzt auf, dass ich wohl schon eine zu hohe Kumulativdosis der Endoxantabletten intus habe und eine intravenöse Stoßtherapie mit 1g Eondoxan alle drei Wochen effektiver, vor allem hinsichtlich der Nebenwirkungen sei. Ich quengele zwar rum, weil ich mir denke, "never change a running system" und mir vor allem durch den Kopf schießt, dass ich dann noch zwei bis dreimal stationär gehen muss bis der ganze Spuk endlich vorüber ist, bitte aber nach einer kurzen "find ich nicht so prall rede" mein Quengeln einfach zu ignorieren und stimme schließlich zu.
Das mit der i.V. Chemo ist schon wirklich gruselig, man beobachtet die ganze Zeit die Tropfen und wartet darauf, dass irgendwas in Richtung brechen, Kopfschmerzen, Haarausfall oder "wie wenn einer das Auge von innen nach außen drückt" oder eben einfach gar nichts passiert, wie ich es inzwischen in diversen Vaskulitisforen gelesen hatte, in denen davon berichtet wurde.
Mir geht es aber bis auf fiese Müdigkeit am nächsten Tag super und ich freu mich. Direkt heute steht leider, Müdigkeit hin Müdigkeit her, ein Pulmologenkonsil in einem anderem Krankenhaus an, bei dem man mich mal wieder vier Stunden in diversen Wartezimmern grillt. Ich bin total gefrustet und wirklich fertig, als ich von dem insgesamt fünf Stunden - Event zurück im Rheumazentrum bin. Denn obwohl ich seit acht Tagen keinen Bluthusten mehr hatte und alle Röntgen - und Lungenfunktionsunteruchungen sowie Blutgasanalysen völlig unauffällig waren, besteht der Pulmologe auf einer Lungen- CT und eine weitere Bronchoskopie.
Nicht, dass die zwei Untersuchungen mehr jetzt den Papp so satt machen würden, aber nach mittlerweile 38 Tagen Daueruntersuchungen, Nadelstichen und stundenlangem, in diversen Wartezimmern verfaulen und immer noch von der Chemo müde sein, ist jetzt gerade der Moment da, wo ich endgültig die Schnauze voll von diesem ganzen krank sein habe. Bisher war mir das alles zwar lästig, aber ich dachte mir, da musste jetzt halt mal durch, stell dich nicht an wie ein Mädchen.
In dieser gefrusteten Stimmung zurück auf der Station, treffe ich den Stationsarzt im Schwesternzimmer, der mir mehr so nebenbei sagte, wie es mit meiner Therapie weitergehen soll. "Nach den weiteren 2 Zyklen Endoxan in 3 und 6 Wochen werden sie auf MTX umgestellt das ist schon jetzt klar". Ich kenne mich inzwischen mehr oder weniger aus und weiß das MTX beinahe genau so ein hartes Medikament wie Endoxan und auch ein Zytostatikum ist und frage erstaunt und immer noch sehr müde und schlecht gelaunt, wie lange ich denn dieses Zeug nun wieder nehmen muss. Na ihr ganzes Leben, solange es die Werte zulassen. Ich bin sichtbar geschockt und frage endlich die richtigen Fragen.
"Ich dachte, wenn ich durch die Therapie bin, kommt es zu einer Remission bei früh angefangener Endoxan - Therapie und nur in 10% zu einem Rezidiv. Ich dachte die Erkrankung halte still nach der Therapie" gebe ich hilflos mein bis dato beruhigendes und Kraft spendendes Halbwissen zum besten.
Der Dr. entgegnete lachend "ja ja, aber keine Stille ohne Pille" und freut sich tierisch über sein Wortspiel, während für mich, dramatisch ausgedrückt, eine Welt zusammenbricht. Das ich das Zeug mein Leben lang nehmen muss, bedeutet für mich, weiterhin ständig zum Arzt rennen zu müssen, gestochen zu werden, an Rezepte denken zu müssen, organisieren zu müssen, immun supprimiert zu sein und ständig auf der Arbeit fehlen zu müssen. Keine Kinder zeugen können ohne Blut zu schwitzen und mich vermutlich am besten jetzt schon mal in die Spenderleberkartei aufnehmen zu lassen und immer in mich hineinhorchen zu müssen, ob ich eine Nebenwirkung habe oder ein Rezidiv.
Wenn der Dr. geahnt hätte, dass für mich jetzt erst der ganze Groschen gefallen ist, hätte er es mir wohl schonender erklärt als mit dem "Keine Stille ohne Pille" Reim.
Einen Tag später wurde ich entlassen. Zumindest erst mal.
Mir ist schon klar, dass ich mit meiner milden Verlaufsform und meiner wirklich früh erkannten Wegner'schen Erkrankung tierisches Glück im Unglück gehabt habe, vor allem eben im Vergleich zu anderen, aber irgendwie traf es mich trotz Informationen in Hülle und Fülle sehr unerwartet, zum Einen, weil ich von einigen Ärzten, die eben selbst nur Halbwissen hatten, versehentlich falsch informiert wurde oder ich mich bei falschen Quellen im Internet informiert hatte oder ich einfach nur nicht richtig durchgeblickt habe.
Da wird mir bewusst, wie wichtig solche Communityseiten wie diese hier sind.
Daniel 8of1 [at] gmx [dot] de
aktualisiert am 14.04.2009