Dietmars Geschichte

Dietmars (65 Jahre) Krankengeschichte begann im März 2013. Noch im Februar 2014, bei einem kleinen Eingriff am rechten Knie, waren die Ärzte beigeistert von Dietmars gesundheitlichem Zustand. Biologisches Alter rund 10 Jahre jünger: 55. – Er war so stolz auf diese Aussage.
Circa drei Wochen später erkrankte er an einer Lungenentzündung und nichts sollte mehr sein wie vorher.
Trotz zwei verschiedener Antibiotika heilte die Lungenentzündung nicht völlig ab. Viel zu spät schickte der Hausarzt ihn zum Röntgen. Auch die Schwindelanfälle nahm er nicht ernst. Dietmar sei dehydriert und solle mehr trinken. Im Mai kam er erstmals ins Krankenhaus nach Gengenbach, nachdem er in der Praxis des Hausarztes zusammengebrochen war.
Das Krankenhaus in Gengenbach gab Kortison. Nach einer Woche war Dietmar wieder zu Hause. Mögliche Diagnosen wechselten fast täglich: Zeckenbiss, Entzündung des Innenohrs und vieles mehr. Keine wurde bestätigt. Je mehr das Kortison heruntergefahren (ausgeschlichen) wurde, desto stärker traten die Symptome wieder auf. Nach vier Wochen war der alte Zustand erreicht.
So ging es im Juni wieder ins Krankenhaus, diesmal ins Klinikum Offenburg (am Ebertplatz), mit Verdacht auf Schlaganfall.
Dieser Verdacht war Blödsinn, aber die Ärzte waren davon so überzeugt, dass sie für nichts anderes Augen und/oder Ohren hatten.
Durch die Schwindelanfälle hatte Dietmar schon zu Hause kaum mehr etwas bei sich behalten. Ob Essen oder Trinken,  fast alles kam zurück, sobald er sich nur bewegte. Aber das ignorierten die Ärzte. Er erhielt weder Infusionen für Flüssigkeit, noch künstliche Ernährung. (Jetzt war er dehydriert!) Er verlor rapide Gewicht, lag nach einer Woche ausgemergelt und inaktiv in seinem Bett. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich furchtbare Angst um ihn.
Endlich kamen auch die Ärzte rund um Dr. Marquart dahinter, dass sie mit der Schlaganfall-Theorie auf dem falschen Dampfer waren. Sie gaben den Fall an eine Kollegin – Frau Dr. Roth – ab. Die sorgte zumindest dafür, dass Dietmar venös mit Flüssigkeit und Nahrung versorgt wurde. Eine Ernährungstherapeutin „übte“ mit Dietmar wieder feste Nahrung zu sich zu nehmen. Der Magen hatte sich durch das häufige Erbrechen wie bei einem magersüchtigen entwickelt und musste erst wieder einmal „lernen“ feste Nahrung zu sich zu nehmen.
Nur mit ihrer Diagnose „Sarkoidose“ lag Fr. Dr. Roth so falsch wie ihre Kollegen von der Schlaganfall-Front.
Als Fr. Dr. Roth merkte, dass sie mit ihrer Sarkoidose-Theorie ebenfalls in eine Sackgasse geraten war, eine Lungenbiopsie nichts gebracht hatte, wurde Dietmar nach Freiburg verlegt. Dort öffnete man den Kopf, um von den befallenen Stellen – auf dem Röntgenbild waren Flecke zu sehen, die man als  Tumor deutete, ebenso wie auf der Lunge -  Proben zu entnehmen. In Freiburg wurde dann auch die richtige Diagnose gestellt, dass es sich in beiden Fällen, Lunge und Gehirn, nicht um Tumore, sondern um VASKULITIS handelte.
Wir wünschten schon damals, Dietmar hätte in Freiburg in der Uniklinik bleiben können. Aber Offenburg forderte ihn von dort als Patienten zurück, nachdem die Diagnose feststand.
Das Problem in Offenburg war vor allem, dass man nicht mit uns sprach – mit mir schon gar nicht. Ich existierte für die Ärzte dort anscheinend nicht.
In wie weit man Dietmar über diese Krankheit aufklärte, weiß ich nicht genau. Er bekam nicht mehr alles mit, er verstand nicht mehr alles. Er hatte Taubheitsgefühle in einer Gesichtshälfte und im Arm, Sprachaussetzer und – als Folge der OP – einen epileptischen Anfall.  Den bekam er, während wir miteinander telefonierten und ich informierte telefonisch die Station, dass sie sofort nach meinem Mann sehen sollten, dass da was passiert. Denn das Personal war dort ziemlich nachlässig und reagierte auf Schellen der Patienten nicht gerade schnell.
Alles was ich damals über diese Krankheit wusste, hatte ich aus dem Internet – u. a. von dieser Seite. Versuche, mit den Ärzten zu sprechen – der behandelnde Arzt hatte inzwischen schon wieder gewechselt, jetzt war eine Fr. Dr. Häfner zuständig – scheiterten. Entweder ließ man sich nicht sehen oder es kam nur oberflächlicher Kram dabei heraus und ich war anschließend nicht schlauer als vorher.
In Freiburg hatte man Dietmar gesagt, wenn die Medikation feststehen würde und das ginge recht schnell, könnte er nach Hause. In Offenburg dagegen wollte man von einer Entlassung nichts wissen. Man machte ihm immer wieder Hoffnung, entließ ihn dann aber doch nicht. Er hatte regelrechtes Heimweh und fühlte sich wie ein Gefangener.
Nach der ersten Chemotherapie kam Dietmar Anfang August nach Elzach in die Reha. Dort hatte er sich wohl gefühlt und auch gute Fortschritte gemacht. Bei der Einweisung saß er noch im Rollstuhl. Am Ende ist er dort hinausspaziert, ohne jede Gehhilfe.
Doch noch vor Ablauf der Reha ließ sich das Klinikum Ortenau (Ebertplatz) Dietmar zurück überweisen. Man zog die nächste Chemotherapie um zwei Wochen vor – warum weiß ich bis heute nicht. Diese zweite Gabe, bei der die Medikamente gegenüber der ersten Chemo verdoppelt wurden (Cyclophosphamidstoß am 2.9.2013 mit 1000 mg), hatte er auch ganz gut vertragen und wollte anschließend natürlich nach Hause entlassen werden.
(Medikation:
Pantazol 40 mg          0-0-1-0
Keppra 500 mg          1-0-1-0
Prednisolon 100 mg   1-0-0-0
Calcivit D                    1-0-1-0
Xarelto 20 mg             1-0-0-0
Tevenate 70 mg ab. Dem 9.8.13   1 x i..Woche)

Wieder blockierte das Klinikum. Obwohl die Reha inzwischen abgelaufen war, entließ man ihn ausschließlich zurück in die Reha-Klinik. Noch aus dem Krankenwagen, der ihn überführte, rief er mich an: „Komm nach Elzach und hol mich da ab. Ich bleib da nicht. Die wollen mich nicht nach Hause lassen.“
In der Reha-Klinik war man vernünftig. Sicher, er hätte ja auch wieder unterschreiben müssen, dass wir selbst zahlen, falls die Versicherung die Kosten nicht über nimmt. Es lag keine Genehmigung zur Verlängerung vor und Dietmar hätte niemals unterschrieben. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihn gehen zu lassen. Er war überglücklich nach Hause zu kommen.
Ich nahm eine Woche Urlaub, um mit ihm regelmäßig zum Arzt fahren zu können, denn nach der Chemo mussten die  Blutwerte regelmäßig überprüft werden. Gleichzeitig setzten wir alle Hebel in Bewegung, damit die weitere Behandlung und die Chemotherapien in Freiburg vorgenommen werden konnten. Auf gar keinen Fall wollte er noch einmal nach Offenburg. „Eher springe ich von der Brücke“, sagte er. – Nun, die Mühe konnte er sich sparen.
Am 18. September kam ich mittags von der Arbeit und Dietmar lag vor seinem Bett auf dem Boden, zwar bei Bewusstsein, aber nicht wirklich klar. Er hatte hohes Fieber. Ich rief den Notarzt und die brachten ihn in die Klinik nach Gengenbach. Als ich einige Zeit später ebenfalls dort eintraf, machte er wieder einen stabilen Eindruck. Doch noch in der Nacht wurde er von Gengenbach nach Offenburg - allerdings in die St. Josefsklinik  - auf die Intensivstation verlegt. In Gengenbach hatte ich allen Ärzten gesagt, er dürfe auf gar keinen Fall wieder an den Ebertplatz.
Wieder einmal hatte er eine Lungenentzündung, diesmal mit Blutvergiftung.  Eine Folge des reduzierten Immunsystems durch die neue Chemotherapie. Dass eine Lungenentzündung auch eine Blutvergiftung auslösen kann, war mir ganz neu.
Da er beatmet werden musste, hatten sie Dietmar in ein künstliches Koma gelegt. Am Wochenende hatte man ihn aus dem Koma geholt und ich hoffte, dass er bald wieder auf dem Weg der Besserung wäre. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass diese wenigen Tage unsere letzten Gelegenheiten waren, miteinander zu reden.  Denn schon wenige Tage später, Donnerstag, hatte man ihn wieder ins künstliche Koma versetzen müssen, weil er selbst nicht genügend Sauerstoff aufnehmen konnte. Der Sauerstoff in der normalen Luft beträgt nur knapp über 20 % und Dietmar brauchte erheblich mehr – später regelmäßig 70 % - damit sein Körper ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden konnte.
Zwar drosselte man täglich die Zufuhr des Narkose-Medikaments – einmal hatte er auch noch zu verstehen geben könne, dass er meine Anwesenheit wahrgenommen hat, aber sprechen konnte ich nicht mehr mit ihm.
Kurz danach musste ich die Betreuung für Dietmar übernehmen, weil man einen Luftröhrenschnitt machen wollte, um ihn künstlich beatmen und gleichzeitig bei Bewusstsein halten zu können. Sein Zustand verschlechterte sich jedoch so schnell und dramatisch, dass der Luftröhrenschnitt nicht mehr durchgeführt werden konnte.
Am 8. Oktober hatte ich ein Gespräch mit Frau Dr. Neufang, der leitenden Ärztin der Intensivstation. Es ging darum, ob wir je über lebensverlängernde Maßnahmen gesprochen hätten und ob ich mich dazu entschließen könnte, die Geräte abschalten zu lassen.
Kein Antibiotikum hatte angeschlagen. Die Lunge – das Gewebe – hatte sich völlig in ein verhärtetes Narbengewebe verändert. Die Lunge war nicht mehr in der Lage, den Sauerstoffaustausch durchzuführen. Irgendwann würden auch 100 % Sauerstoff nicht mehr ausreichen, um den Körper zu versorgen und dann käme es zum Organversagen.
Für mich brach eine Welt zusammen. Ich habe tatsächlich bis zu diesem Tag geglaubt, dass er die Krise überwindet. Ich war von den Ärzten am Ebertplatz so dumm gehalten worden, dass ich nicht im Geringsten um den Ernst der Lage wusste.
Eigentlich ist Dietmar für mich bereits an jenem 8. Oktober 2013 gestorben, weil ich von da an wusste, dass es keine Rettung mehr gibt. Ich war über Tage wie in einem Schockzustand.
Es gab noch einige Gespräch mit dieser Ärztin von der Intensivstation. Sie hat auch meine Beschwerde weitergeleitet, darüber, dass ich über die Krankheit im Klinikum am Ebertplatz nicht aufgeklärt wurde. Sie meinte, dort wäre „einiges nicht optimal“ verlaufen“.
Natürlich hatte ich mir zu diesem Zeitpunkt Vorwürfe darüber gemacht, dass ich Dietmar nach Hause geholt hatte. Ich befürchtete, dass er sich diesen neuen Keim zu Hause, evt. von den Hunden geholt hatte. Die Ärztin versicherte mir allerdings, dass er diesen Keim ganz bestimmt nicht von einem Hund habe. Er wäre glücklich gewesen, zu Hause zu sein,  und das allein würde zählen.
Ich habe die Geräte nicht abschalten lassen. Es war mir nicht möglich, über Leben und Tod zu entscheiden. Und darüber gesprochen hatten wir ja nie. Wir waren gesund. Krankheit, Tod, Intensivstation – darüber redet man vielleicht bei gegebenem Anlass, aber doch nicht einfach so.
Ich weiß nur, dass Dietmar nie übereilt ein Tier hat einschläfern lassen. Er hat immer alles versucht. Und damit war die Richtung, an die ich mich zu halten hatte, vorgegeben.
Auf der Intensivstation hatte man auch alles versucht. Man hatte jedes Antibiotikum probiert, das man zur Verfügung hatte. Die Ärzte wussten nicht, wodurch die Veränderung der Lunge hervorgerufen wurde. War es der aggressive Keim oder die Vaskulitis – man weiß es bis heute nicht.
Mein Mann Dietmar S. starb am 27. Oktober 2013, um 9.20 Uhr an einem strahlend schönen Herbstsonntag.
Das Thema „Vaskulitis“ lässt mich logischerweise noch nicht los. Letzt habe ich gelesen, dass es unbedingt notwendig ist, sich zur Behandlung in erfahrene Hände zu begeben. In solchen Händen war mein Mann nicht. In Offenburg hatte man keine Ahnung. Sie hielten meinen Mann dort wie ein Versuchskaninchen, das man nicht laufen lassen wollte. Ich habe keine Ahnung, ob die Ärzte in Freiburg erfahrener gewesen wären, kann es mir aber gut vorstellen, da sie ja auch in der Lage waren, die Diagnose zu stellen. Es ist mir unverständlich, weshalb Ärzte einen Fall nicht abgeben, in eine Fachklinik überweisen, wenn sie ihm nicht gewachsen sind.

Juni 2014