Der Weg zum Wegener

von Gabriela Birkenfeld

Meine erste Unterhaltung mit einer Arbeitskollegin, die mich nach meiner Diagnose im Krankenhaus besuchen kam: „Was, eine Gefäßentzündung hast du, ist das so was wie meine Krampfadern?“ - „Nein, das ist eine Autoimmunerkrankung.“ – „Was, hast du etwa AIDS ?!?“

Das Wort Vaskulitis kannte ich zu diesem Zeitpunkt selbst noch gar nicht. Schon oft wurde ich gefragt: „Wie lange haben Sie denn das schon?“. Ich kann es nicht genau sagen... Denn eigentlich war ich schon immer irgendwie anfällig. Als kleines Kind hatte ich immer wieder Mittelohrentzündungen, später als Schulkind bekam ich oft Bauchschmerzen und mit 13 Jahren hatte ich heftiges Nierenbluten. Aber waren das nicht Erkrankungen, die jeder mal haben kann? Der Übergang zum Beginn der Wegnerschen Granulomatose war sicher fließend.

Die erste Mittelohrentzündung meiner Erwachsenenzeit begann im Jahr 1982, da war ich gerade 18 Jahre alt und hatte das Abitur geschafft. In den nächsten Jahren geschah das dann immer wieder. Hinzu kamen ständig Blasenentzündungen. In sehr kurzen Abständen wurden mir immer wieder Antibiotika verschrieben. Durch Zufall (ich hörte plötzlich meinen Wecker nicht mehr ticken) bemerkte ich eine starke Schwerhörigkeit auf dem am meisten betroffenen Ohr.

Nach zwei Entbindungen und einer sehr spät erkannten Eileiterschwangerschaft ging es dann im Sommer 1990 ziemlich massiv mit meinen körperlichen Beschwerden weiter. Ich bekam sehr schlecht Luft, fühlte mich sehr schlapp und hatte wohl auch sehr schlechte Blutwerte, die man sich nicht erklären konnte. Meine behandelnde HNO-Ärztin empfahl mir eine Nasenscheidewand-OP, damit ich durch die gerichtete Nase besser Luft bekommen könnte. Im Krankenhaus erfuhr ich von dem Loch im Trommelfell. Nach diesem Aufenthalt in der HNO-Klinik kam ich einfach nicht wieder auf die Beine, ich hatte mir wohl eine Erkältung geholt. Nach mehreren Wochen nicht anschlagender Behandlung kam ich mit einer Lungenentzündung in die Lungenklinik. Dort entdeckte man „eigenartige“ weiße Flecken auf meinem Röntgenbild. Die Blutwerte waren weiterhin sehr schlecht. Die Ärzte punktierten an der Thymus-Drüse und am Becken, ohne einen Befund erstellen zu können. Nach einem Vierteljahr konnte ich endlich zu meiner Familie zurück, aber die Ursache für meinen schlechten körperlichen Zustand war nicht gefunden worden.

Ich begann wieder zu arbeiten und hoffte, dass die Kraft schon wieder kommen würde. Im darauf folgenden Jahr bekam ich zum ersten Mal starke Kopfschmerzen, die mit normalen Schmerztabletten einfach nicht beherrschbar waren und immer wieder auftraten - Migränekopfschmerzen.

Um meine Schwerhörigkeit zu verbessern, wurde ich von meiner HNO-Ärztin in die Uni-Klinik geschickt. Dort stellte man ein Loch in der Nasenscheidewand fest, und dass der Knochen am Ohr durch die ständigen Vereiterungen schon in Mitleidenschaft gezogen war und dringend operiert werden sollte. Durch diese OP fiel mein Gleichgewichtsorgan komplett aus. Ich war durch den Schwindel nicht in der Lage, allein zu laufen und konnte monatelang nichts allein außerhalb der Wohnung erledigen.

In den folgenden Jahren hatte ich immer wieder Stirnhöhlen- und Nasennebenhöhlenentzündungen.

Im Anschluss an eine OP an den Nebenhöhlen bekam ich 1993 einen geschwollenen Knöchel und konnte kaum noch auftreten. Später kamen starke Schmerzen im anderen Fußgelenk, in Knie- und Handgelenken hinzu. Zur gleichen Zeit war ich 2 bis 3 mal wegen einer Bindehautentzündung beim Augenarzt. Die geschwollene, rote Ohrmuschel erwähnte ich bei keinem Arzt, weil mir das in dieser Situation völlig nebensächlich erschien. Die Jahre 1993 und 1994 waren ausgefüllt mit meiner Behandlung bei meiner Rheumatologin. Sie verschrieb mir u.a. Goldspritzen (die ich nicht sehr lange vertragen habe) gegen die RA und meinte, damit müsste ich mich jetzt abfinden. Die Überlegungen meines (inzwischen neuen) HNO-Arztes, ob bei diesen massiven und kaum noch beherrschbaren Entzündungen nicht eine Autoimmunerkrankung die Ursache sein könnte, wurden von ihr sofort abgewiesen. Daraufhin ließ er mich von einem anderen Rheumatologen untersuchen. Auch diese Suche nach einer Diagnose war negativ, denn es gibt zwar einen typischen Wert für diese Erkrankung - den C-ANCA-Wert, aber bei 5% der Erkrankten tritt er nie auf und zu dieser Gruppe gehöre ich wohl ungünstigerweise.

Mit meiner „gut eingestellten“ RA wollte ich nun 1994 einen Neuanfang wagen. Ich fand eine neue Stelle und hoffte, dass nun erstmal keine neuen Schübe kämen. Leider war diese Zeit recht kurz, denn im Sommer 1995 begann ich schon wieder bei geringster körperlicher Belastung zu pfeifen wie eine alte Lok. Ich glaubte allerdings, dass daran meine seelische Verfassung schuld sei, denn mich hatte die Lungenkrebserkrankung meines Vaters sehr stark getroffen. In dieser Zeit kamen braune Flecken auf den Schienbeinen, die ich als „Sommersprossen“ abtat und häufiges Nasenbluten hinzu. Die Luft wurde immer knapper, die Lymphknoten am Hals waren dick angeschwollen und ich hatte eigentlich ständig leicht erhöhte Temperatur um die 37,5°. Mein HNO-Arzt wies mich dann im Frühjahr 1997 in die Lungenklinik ein, da er befürchtete, die entzündete Luftröhre würde soweit zuschwellen, dass ich gar keine Luft mehr bekommen könnte. Nach einer hohen Cortison-Dosis über mehrere Tage ging es mir wieder bestens, ich wollte nach Hause und bat um Entlassung. Da weder Allergie- noch Tuberkulosetest etwas erbracht hatten und es keine Erklärung für meine Symptome gab, konnte ich das Krankenhaus verlassen. Leider hielt diese Verbesserung nur wenige Tage an. Schon vier Wochen später wurde ich mit einer Lungenentzündung wieder eingewiesen. Mehrere Bronchoskopien und die Röntgenbilder brachten keinen Befund. Als dann innerhalb weniger Stunden das Fieber massiv anstieg, ich mehrmals nachts die Wäsche wegen des Schwitzens wechseln musste, war ich schon ziemlich geschwächt. Der Beginn starker Schmerzen beim Wasserlassen und die Rotfärbung des Urins waren Auslöser, trotz des schlechten körperlichen Zustandes eine offene Lungenbiopsie zur Untersuchung einer Gewebeprobe der Lunge anzuordnen.

Als ich danach auf der Intensivstation aufwachte, hatte meine Erkrankung einen Namen: Wegenersche Granulomatose. Ich begann nach Informationen über diese Erkrankung zu suchen. Leider war kaum etwas zu finden. Die Texte, die mir aus alten Büchern mitgebracht wurden, machten mir wenig Mut. Erst viel später, beim Lesen eines Buches über Vaskulitis, fiel mir auf, dass ich in den letzten Jahren fast alle klassischen Zeichen einer Wegenerschen Granulomatose gehabt hatte (auch die typische „Wegener-Nase“ - ein Einsinken des Nasenrückens durch die häufigen Entzündungen).

Dieser Weg bis zur Diagnose war für mich und meine Familie sehr lang. So ausführlich aufgeschrieben habe ich das, weil ich hoffe, dass durch bessere Informationen für Betroffene und auch eine engere Zusammenarbeit der Fachärzte dieser Weg vielleicht verkürzt werden kann.

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