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Ralfs Geschichte

Guten Tag,

Ich bin schon im August 2020 auf die Homepage ihres Arbeitskreises gestoßen, und möchte nun auch meine Erfahrungen für andere weitergeben.

Ich schreibe für meinen Sohn Ralf, Jg. 1966, er wohnt in Mittelhessen, im Lahn-Dill-Kreis.
Ralf ist seit seiner Geburt geistig behindert, ( auf dem Stand eines 4-6 J. ) mit leichtem Autismus, kann weder schreiben noch lesen, hat aber durchaus Insel-Fähigkeiten, spricht teilweise noch in Echolalie. Er ist 1,78 groß mit einem Gewicht von 82 Kg, Kann gut wandern und schwimmen. Also ein stattlicher Mann im besten Alter. Aber selbstständig leben kann er nicht.
Deshalb wohnt er seit über 30 Jahren in einem Wohnheim der Lebenshilfe. Ich bin seine rechtliche Betreuerin. Alle 14 Tage hat er ein Heimgeh-Wochenende.
Ralf war die letzten 20 Jahre nie ernsthaft krank und muss aber wegen Bluthochdruck morgens 1 Tablette nehmen.
Aber seine Zahnbehandlungen, außer der Zahnsteinentfernung, mussten immer in Narkose durchgeführt werden, weil er sich keine Spritze geben ließ, somit auch kein Blut abnehmen ließ.
Seit 2007 bis 2019 wurden wegen seiner Paradentose viermal mal unter Narkose viele seiner Zähne gezogen, und er bekam 2013 eine Teilprothese oben. Im Februar 2019 hatte ich den Narkosearzt gebeten, ihm einige Röhrchen Blut abzunehmen. Vor der Narkose bekam er Dormicum, um müde zu werden. Erstaunlicherweise waren alle wichtigen Werte damals im Normbereich.
Mitte März 2020, Ralf hatte sein Heimgeh – Wochenende, hörte man von ersten Schließungen der Heime. Sein Bruder wohnt in Bayern, dort war das Virus schon im Gange. Er riet uns, Ralf zu Hause zu lassen. Und wie richtig war dieser Schritt, denn danach kam der Lockdown und 3 Monate hätte ich Ralf nicht sehen können. Nur ahnte ich damals nicht, dass er erst wieder im Juni 2021 zu seinen Mitbewohnern ins Wohnheim einzog.
Diese Vorgeschichte soll zum besseren Verstehen der nachfolgenden Krankengeschichte dienen.

Wir gingen im Lockdown viel spazieren mit ihm, tat uns allen sehr gut, es war auch oft schönes Wetter, Regelmäßig haben wir wegen dem Virus Temperatur gemessen. Wir als Eltern haben es genossen, wieder zusammenzusein. Aber es war auch wieder eine große Aufgabe für Ralf zu sorgen, denn mittlerweile sind wir 82 und 77 Jahre alt. Es war eine schöne Zeit.
Ende Mai fiel mir auf, dass er abends bei Aufstehen vom Sofa Schwierigkeiten hatte aufzustehen. Ich dachte damals an Hüftprobleme. Dann hatte er plötzlich Schwindel und Kreislaufprobleme, niedrigen Blutdruck, Nachtschweiß kam hinzu.
Er wurde immer wackeliger beim Gehen, sagte immer er hätte Muskelkater.
Mitte Juni, wir hatten Termin bei der Hausärztin, fiel mir beim Duschen auf, dass Ralf einige Knoten am Bauch hatte. Frau Doktor meinte, das seien gutartige Lipome. Sofort Blutdrucktabletten absetzen, weil der Blutdruck nun immer sehr niedrig war. Täglich kamen neue Symptome hinzu, wie Nasenbluten, dicke Pfropfen kamen aus der Nase beim Putzen, verklebte Augen. Auch Gewichtsabnahme.
Weil es in dieser Zeit sehr warm war, versuchte ich abends eine kleine Runde mit ihm zu gehen, das war aber nicht mehr möglich. Er schwankte, konnte nicht mehr alleine gehen, 3 Stufen ins Haus fielen ihm schwer. Er saß immer gerne im Schneidersitz, das ging nicht mehr, alle Gelenke taten ihm weh. Beim Essen beobachtete ich ihn , er konnte nicht mehr gut schlucken, die Müdigkeit war sein ständiger Begleiter. Auf die Toilette kam er nur mit unserer Hilfe. Wie stark seine Schmerzen inzwischen waren, konnten wir nur ahnen.
Schon lange sagte er nicht mehr: „mir gehts blendend (er wollte nie krank sein) , sondern nun war sein Sprachschatz: „habe Kreislauf und Schwindel“ .
Wir fuhren in die Praxis zum EKG, aber das war unauffällig. Frau Doktor war sehr besorgt, wir auch. Sie braucht Laborwerte, aber er verweigert sich und Gewalt will sie nicht ausüben.
Sie bemüht sich um eine Aufnahme in den Dill-Kliniken, wegen einer Blutuntersuchung unter Narkose. Dies wird aber abgelehnt.
Sein Zustand verschlechtert sich von Tag zu Tag, so dass ich der Hausärztin einen Vorschlag mache: Wir könnten Ralf doch mit Tavor expedit beruhigen und zum Schlafen bringen. Sie willigt ein.
Am 30. Juni 2020 ist die Praxis wegen Quartalsabrechnung geschlossen, ich gebe Ralf zu Hause schon eine Tablette Tavor, wir fahren in die Praxis. Er liegt auf einer Liege, ich beobachte ihn, aber er wird nicht müde. Ich übernehme die Verantwortung für eine 2. Tablette, die wirkt dann endlich nach 90 Minuten. Alle 4 Angestellten und die Ärztin schauen abwechselnd vorbei. Dann endlich läuft Blut in die Röhrchen, und Ralf wird wach und ruft : „Papa, Mama, Jörg, Bernd usw. ich bin stolz, ich habe Mut“. Wir alle sind erleichtert, alle klatschen und loben ihn. Vielen, vielen Dank an das gesamte Team der Hausarztpraxis. Im Auto schläft er fest ein. Ich bringe das Blut selbst im Labor vorbei.
Wir bringen ihn kaum die Kellertreppe hoch, und dann schläft und schläft er den ganzen Tag. Nun warten wir auf den Anruf am nächsten Tag.

Mittwoch, der 1. Juli 2020, der Anruf kommt, alle Laborwerte sehr schlecht, er muss sofort in die Dill-Klinik, Selbstverständlich werde ich mit eingewiesen, es geht ja nicht anders. Und es ist Corona, in der Fieber Ambulanz zuerst die Abstriche machen. Eine freundliche Schwester schließt den Monitor an, will Blut abnehmen, sofort springt er mit allem hoch, plötzlich aus Angst kann er wieder laufen. Aber es sei nicht schlimm. Eine sehr nette Ärztin untersucht ihn, und schafft es, ihn zu beruhigen, und bekommt auch das kostbare Blut. Sofort bekommt er eine Infusion. Ich bekomme den gelben Schutzmantel, Handschuhe und Maske und trotte hinter dem Bett her zum Röntgen. Danach bekommen wir ein Familienzimmer auf der Isolierstation, bis der Negativ Test kommt, und das dauert 4 Tage. So lange darf ich das Zimmer nicht verlassen, Ralf liegt ja sowieso fest im Bett.
Die nächsten 9 Tage sind ausgefüllt mit vielen, vielen Untersuchungen, und Eingriffen wie z.B. Punktion des Rippenfells, jeden Tag werden Laborwerte abgenommen, was nur mit Dormicum klappt, und danach schläft Ralf immer lange. Sein Zustand verschlechtert sich aber Tag für Tag, sie bekommen das Fieber nicht runter, und kommen zu keiner Diagnose. Mal wurde TBC, dann rheumatisches Fieber genannt. Es war zermürbend.
„Armer Patient“ sagte Ralf immer wieder zu sich. Mittlerweile schreit er vor Schmerzen.
Nach 9 Tagen höre ich zum ersten mal die Aussage, sein Immunsystem rebelliert. Der Oberarzt spricht mit mir, ist sehr besorgt, und hat eine Verlegung in die UKGM nach Gießen wegen akutem Nierenversagen in die Nephrologie angeordnet.

Am 11. Juni 2020 fahren wir mit einem Rettungswagen 112 nach Gießen. Während der Fahrt wird er regelmäßig überwacht, und wir kommen sogar ohne Abstrich durch die Aufnahme. Ein nettes 2 Bett Zimmer bewohnen wir jetzt, für wie lange wohl?
Das Fieber geht einfach nicht runter, Die ÄrztInnen tappen noch im Dunkeln. Aber scheinen auf dem richtigen Weg zu sein, so nach und nach kommt wieder Lebensmut in Ralf zurück, er wird gesprächig. Und alle bemühen sich so sehr um ihn. Die Schwestern lieben ihn, weil er so gut aussieht und sehr liebenswürdig ist. Das macht auch vieles im Umgang mit ihm leichter. Mit wie viel Geduld, manchmal 45 Min. sitzen die ÄrztInnen bei ihm, um das kostbare Blut von ihm zu bekommen. Lenken ihn mit Themen ab, die ihn interessieren. Und jeden Tag bekommt er mehr Vertrauen in sie und glaubt, dass es nicht weh tut. Sie alle in der Nephrologie haben es geschafft, und es klappt bis heute sehr gut, denn alle 4-6 Wochen muss er zur Kontrolle, auch heute noch.
Auch hier wurde ich mit vielen Fragen gelöchert, welche Symptome Ralf hatte.

Diese habe ich immer wieder aufgezählt:
Schwindel, Bindehautentzündung, Schluckbeschwerden, Gelenkschmerzen, Nachtschweiß, Müdigkeit, blutig-krustige Brocken in der Nase, Gewichtsabnahme.

Ich hatte in den 3 Wochen Klinik-Aufenthalt viel Zeit, habe viel gegoogelt auf meinem Handy, und habe regelmäßig Tagebuch geführt.
Hatte vorher noch nie was von der Krankheit gehört. Mittlerweile habe ich mich belesen, und weiß sehr gut Bescheid. Habe auch viele Erfahrungsberichte gelesen, und viele Gleichheiten festgestellt. Dabei hat das Internet mir sehr geholfen.
Auch musste ich feststellen, dass von Beginn der Beschwerden bis zur Diagnose keine lange Zeit vergangen ist.
Ich bin mir aber sicher, dass es schon lange einige Anzeichen gab, seine schlechten Zähne, schon vor einigen Jahren hat er immer mal solche blutig-krustige Pfropfen in der Nase, aber ohne Schnupfen. Ich dachte schon, dies sei vielleicht eine allergische Reaktion auf seine Zahn-Prothese.
Aber warum diese Krankheit jetzt ausgebrochen ist, sind nur Vermutungen.

Letztendlich hat die Biopsie der Niere die eindeutige Diagnose gesichert :
es handelt sich um eine
floride Nierenbeteiligung bei Granulomatose mit Polyangiitis.
Vorher Morbus Wegener

Behandelt wurde Ralf mit :
Cortison Stoß-Therapie 500mg Prednisolon 3 Tage lang
danach 80mg , Reduktion nach Schema bis 5mg.
500mg Rituximab , 4 Gaben
Bluttransfusion 2 Eks

Die Medikation für zu Hause war:
Prednisolon Reduktion bis 5mg
Pantoprazol 40mg ( zur Zeit abgesetzt )
Dekristol 20000
Lasix 40mg
Cotrim-forte 960mg (zur Zeit abgesetzt)
Bisoprolol 2,5mg
Kalinor Brausetabletten

Entlassen wurde Ralf am 21. Juli 2020
Er war sehr schwach, aber sehr langsam kam wieder Kraft in sein Leben. Das Wandern mussten wir Schritt für Schritt wieder üben. Aber ganz wie vor seiner Erkrankung geht es nicht mehr. Und weil es ja eine Autoimmunerkrankung ist, durfte er wegen Corona auch nicht in sein gewohntes Umfeld ins Wohnheim zurück. Erst 14 Tage nach der 2. Impfung ist er dann am 6. Juni 2021 zu seinen Freunden zurückgekehrt.
Die Eingewöhnung dauerte einige Wochen, gerade wegen seines Autismus fiel es ihm sehr schwer, die Regelmäßigkeit der letzten Monate abzustreifen.
Wir als Eltern haben während der Zeit auch auf vieles Gemeinsame verzichten müssen, aber trotzdem möchten wir diese gemeinsam durchlebte Leidenszeit mit all ihren Erfahrungen nicht missen.

Ich weiß, dass es keine Heilung gibt, aber gute Aussichten zu überleben. Ralf ist zur Zeit in regelmäßiger Kontrolle der MVZ DaVita, Dialyse Dillenburg. Im Moment steigt der PR 3 Wert wieder etwas auf 13, aber alle anderen Werte sind im Norm-Bereich. Es kann durchaus sein, dass er immer mal wieder Rituximab bekommen muss.

Dillenburg, den 22. Februar 2022

Es grüßt Rose Kunz

rosekunz [at] t-online [dot] de
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aktualisiert am 24.02.2022