}

Mein Autoimmunzirkus

Ich heiße Sabine und lebe in NRW. Ich bin verheiratet und habe eine erwachsene Tochter.

Im Sommer 2000, ich war damals 43 Jahre alt, zeigten sich bei einer Routinediagnostik erhöhte Leber- und Entzündungswerte, nicht dramatisch hoch, aber doch genug, dass man eine Hepatitis diagnostizierte. Nachdem alle bekannten Ursachen (Viren, Alkohol, Fettleber usw.) ausgeschlossen worden waren, wurde ich an die Uniklinik Bonn überweisen, wo man schließlich drei Autoantikörper (ANA, p-ANCA und SMA) im Blut fand. Eine Leberbiopsie bestätigte dann die Diagnose einer Autoimmunhepatitis.

Nach dem ersten Schock (der behandelnde Assistenzarzt der Leberambulanz meinte zwar lachend, dass ich im schlimmsten Fall in 5-10 Jahren eine neue Leber bräuchte, aber vielleicht auch nicht), habe ich es nicht besonders ernst genommen. Das heißt, mein Hausarzt hat mich dann ohne Immunsuppression, aber mit einem Medikament, das bei Fettleber eingesetzt wird, behandelt. Dabei wurden die Leberwerte regelmäßig kontrolliert und nach drei Monaten begann sich alles zu normalisieren und nach insgesamt acht Monaten war alles wieder im grünen Bereich. Abgesehen von einer ausgeprägten Müdigkeit, hatte ich in der Zeit keine Symptome.

Bei der Kontrollbiopsie 12 Monate später hatte ich zwar eine wunderschöne Leber, aber auch einen plötzlichen Drehschwindel. Der Hepatologe fragte nach und als ich ihm erzählte, dass ich solche Schwindelattacken seit einigen Jahren immer mal wieder habe, empfahl mir, das im Auge zu behalten, weil auch hier eine Autoimmunerkrankung dahinter liegen könnte. Aber dann war ich sehr lange schwindelfrei und habe das schlichtweg vergessen.

Drei Jahre später, im Frühjahr 2003, wurden meine störenden Verdauungsprobleme immer heftiger, ich hatte täglich mehrmals Durchfall, oft blutig, ziemlichen Leistungsabfall und Eisenmangel. Eine Darmspiegelung brachte dann die Diagnose einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung, Colitis Ulcerosa, die auch sofort mit meiner Autoimmundiagnose drei Jahre zuvor in Zusammenhang gebracht wurde. Jetzt waren allerdings  nur noch p-ANCA nachweisbar. Seitdem nehme ich täglich ein entzündungshemmendes Medikament für den Darm und darf alle zwei Jahre zur Darmspiegelung. Der Darm verhält sich damit relativ ruhig, wobei  relativ auch ein sehr dehnbarer Begriff sein kann.

Im Verlauf der nächsten Jahre gesellten sich dann noch zwei weitere kleine und mittlere Beschwerden dazu, die immer sofort mit der Autoimmundiagnose begründet wurden. Über einen längeren Zeitraum hatte ich immer wieder entzündete Gelenke (Knöchel, Knie, Fingerwurzeln, Zehen), immer eines nach dem anderen, nie alle auf einmal. Das dauerte meist so 2-3 Tage, dann war der Spuk vorbei. Das war bisher die einzige richtig schmerzhafte Baustelle und nur dann waren meine Entzündungswerte so richtig hoch. In den letzten Jahren sind es nur noch die Fingergelenke, die hin und wieder heiß anschwellen.

Kurz nach den Gelenken meldeten sich die Augen in Form von Hornhautrandgeschwüren. Das fängt mit einem brennenden roten Fleck neben der Pupille an und dann entwickeln sich innerhalb kurzer Zeit ein oder mehreren kleinen weißen Häufchen am Rand der Pupille. Es kommt abwechselnd in beiden Augen und ein Schub kann mehrere Monate anhalten. Zum Glück hatte die zweite Augenärztin gleich den richtigen Verdacht und setzte das unwirksame Antibiotikum ab und mit einer Cortisonsalbe wird es bisher auch jedes Mal wieder besser. Allerdings darf ich bei dem kleinsten Verdacht sofort in die Praxis und muss die Augen immer feucht halten (was ganz schön teuer ist, denn die Kasse zahlt die Tropfen nicht).

p-ANCA Autoantikörper waren weiterhin nachweisbar, Entzündungswerte fast normal.

Im Sommer 2009 hatte ich drei Tage sog. FOU, d.h. hohes Fieber ohne erkennbare Ursache. Danach war ich für den Rest des Sommers wenig zu gebrauchen, immer wieder müde und schlapp. Anfang September wachte ich eines Nachts mit einem Wadenkrampf oder tauben Beinen auf (irgend sowas) und bei dem Versuch, zu gehen, bin ich ohnmächtig geworden. Ich fiel, aber es fiel kein Groschen, garnichts, ich bin einfach wieder ins Bett und am nächsten Tag zur Arbeit, wie gewohnt. Ich hatte nur so eine Art Muskelkater und war sehr müde. Am nächsten Tag begannen dann im linken Ohr starke Geräusche und ich habe dort alles wie durch einen Lautsprecher gehört. Ein Besuch beim HNO Arzt brachte nichts. Gehör war ok. Allerdings wurde ich immer schlapper und mein Hausarzt hat mich dann krank geschrieben und mein Blut auf alles, was ihm einfiel getestet (alles negativ). Mittlerweile bekam ich auch heftigen Drehschwindel, stärker als je zuvor, und konnte vor Müdigkeit kaum noch was tun. So fing das volle Programm an, aber auch zwei MRT, ein CT, zwei Neurologen, weitere HNO Untersuchungen und gefühlte 2000 Std. in diversen Wartezimmern später war ich so schlau wie zuvor. Ich hatte zwar einen ständig auf Hochtouren laufenden Außenbordmotor im linken Ohr, kaum noch Gleichgewicht und das ständige Bedürfnis, zu schlafen, aber ansonsten war ich völlig  gesund . Aber weiterhin krank geschrieben.

Mitte November 2009 hatte ich im linken Ohr dann einen Hörsturz. Das Gehör war zwar nicht völlig weg, aber deutlich eingeschränkt. Innerhalb einer Stunde war ich beim Hausarzt, der mich sofort zu einem anderen HNO Arzt schickte und innerhalb von 10 Minuten nachdem ich  andere Autoimmunerkrankungen erwähnt hatte, hing der mich an eine Cortisoninfusion. Nach der dritten Infusion konnte ich wieder alles hören und der Lautsprecher im linken Ohr war zum Glück auch verstummt, aber ich bekam die Empfehlung, mich an die Uniklinik Mainz zu wenden, wegen Verdacht einer seltenen Autoimmunerkrankung im Innenohr.

Während der dreiwöchigen Wartezeit auf den Termin hatte ich dann an einem Wochenende sehr heftige Herzrhythmusstörungen und landete im Notdienst und dann mehrere Tage im Krankenhaus, wo man mich ziemlich schnell als Wechseljahrhysterikerin einstufte, mir ein Rezept für ein Antidepressivum anbot und mich an einem Psychiater verweisen wollte, um meine  Angststörung in den Griff zu bekommen. Das war heftig.

An der Uniklinik Mainz wurde ich dann einen Tag lang genau untersucht, alle Schwindelsymptome wurden bestätigt, Gleichgewichtsorgan links war komplett unbrauchbar, Ohrgeräusche höchste Intensitätsstufe usw. Gleich drei Ärzte schüttelten mich herum, murmelten dann gemeinsam eine Weile und verwiesen mich nach Wiesbaden zur Immunologischen Ambulanz der HSK Kliniken.

Drei Wochen später hatte ich dort meinen ersten Termin, zwei Tage danach rief Frau Dr. Bauer von der HSK Ambulanz bei mir an und sagte lachend:  Sie haben eine ANCA-assoziierte Vaskulitis, kommen Sie doch gleich morgen nochmal zu mir. Überhaupt lacht Frau Dr. Bauer viel, bei jedem Termin. Sie lachte auch ganz freundlich, als sie mich im April 2010 für eine Woche zur stationären Behandlung geholt hat. Und ich lache jedes Mal mit, nicht, weil  alles besser wird , sondern, weil sie versteht, wie es mir geht und genau weiß, was Sache ist.

Bis Dezember 2010 war ich krank geschrieben und habe mich dann an eine stufenweise Wiedereingliederung gewagt. Nach genau 72 Wochen krankheitsbedingter Abwesenheit war ich zurück an meinem Arbeitsplatz, allerdings nur noch halbtags. Ich habe problemlos eine Teilerwerbsminderungsrente bewilligt bekommen. Zunächst für ein Jahr, jetzt für zwei Jahre bis Ende 2014. Wenn sich bis dahin keine gravierenden Verbesserungen einstellen, wurde mir eine unbefristete Rente in Aussicht gestellt. Nach zwei Anläufen habe ich unbefristet 50% GdS bekommen.

Ich nehme z.Z. 5 mg/Tag Decortin und fange gerade einen Probelauf mit einer Reduktion des MTX auf 7,5 mg/Woche an. Mein Kopf dröhnt und rumort weiterhin, aber mit der Zeit wurde es mir wohl zu langweilig, da immer hin zu hören. Ich registriere es mit einem Schulterzucken, nicht immer, aber fast immer. Ich bin oft am Abend fix und alle. Meine Leberwerte sind 2011 wieder stark gestiegen, haben sich aber nach 11 Monaten wieder normalisiert. Ich habe endlose Zahnfleischentzündungen, Gastritis und oder sonst was an Nebenwirkungen. Ab und zu haut mich eine Schwindelattacke hin und wenn es zu heftig wird, hilft eine kurze Hochdosis Decortin. Mein Hausarzt kontrolliert alle zwei Monate meine Blutwerte und ich fahre zweimal im Jahr nach Wiesbaden in die Immunologische Ambulanz, wo ich auch immer anrufen kann,  wenn was ist .

Ich bin körperlich nicht besonders belastbar. Vergleiche mit  früher fange ich schon garnicht mehr an. Das Leben ist einsamer geworden, denn soziale Geselligkeit ist anstrengend und ich will nicht immer erklären, warum ich  so gesund aussehen kann mit  so einer Krankheit. Das Verständnis und die Unterstützung meiner Familie und einiger weniger Freunde reichen mir völlig aus.

Ich habe viel gejammert und gelitten und gelernt. Und lerne jeden Tag, dass diese gesundheitliche Krise eine Herausforderung ist. Eine Herausforderung, für viele Aspekte meines Lebens einen wacheren Blick und neue Umgangsmöglichkeiten zu entwickeln und eine neue Einstellung zu diesen Einschränkungen und zu den verbleibenden gesunden Möglichkeiten zu finden. Jeden Tag.

dsabine [at] gmx [dot] de

07.03.2013