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Mikroskopische Polyangiitis in Zeiten der Coronavirus Pandemie

Mein Name ist Susanne, ich lebe in der Nähe von Freiburg. Ich bin 55 Jahre alt, kinderlos, alleinstehend und -lebend und bin in Vollzeit als Produktmanagerin in der Labormedizin tätig. Viele Jahre war ich in der ganzen Welt unterwegs und habe mit großer Freude wissenschaftliche Vorträge gehalten. Bis die Corona Pandemie alles veränderte. Das Jahr 2020 brachte viele Menschen in berufliche Existenznot. Mich betraf das nicht, ich habe mehr Stunden und härter gearbeitet als je zuvor. Der Leistungsdruck war stärker als bisher, die Ereignisse überschlugen sich. Wenn auch der Arbeitsalltag ganz anders aussah, 100% digital, da das Reisen nicht mehr möglich war. Im November hatte ich den ersten Urlaub in diesem verrückten Jahr und freute mich sehr auf ein paar erholsame Tage daheim.

Am Freitag, dem 6. November 2020, fühlte ich mich plötzlich sehr unwohl. Kopfschmerz, starker Gliederschmerz, heftiger Husten mit Auswurf. Erschwertes Atmen. Merkwürdige Atemgeräusche. Über das Wochenende erhöhte sich meine Körpertemperatur auf 38,5 Grad und der Auswurf enthielt nun bei jedem Abhusten frisches Blut.

Am Montagmorgen meldete ich mich telefonisch bei meiner Hausärztin, in der Hoffnung auf einen kurzfristigen Untersuchungstermin und Hilfe. Ergebnis: Mit diesen Symptomen solle ich AUF GAR KEINEN FALL zu ihr in die Praxis kommen! Sie würde mir ein Rezept in der Apotheke hinterlegen lassen. Ich holte das Medikament ab und begann auch sofort mit der Einnahme des Antibiotikums. Noch nie hatte ich ein Antibiotikum ohne jedwede vorangegangene Untersuchung verordnet bekommen. Aber in Zeiten der Pandemie ist ja so manches anders als sonst.

Am Dienstagvormittag, mit unveränderten Symptomen und nach wie vor blutigem Auswurf, rief ich bei der Hotline meiner Krankenkasse an, um mir Rat zum weiteren Vorgehen zu holen. Mir wurde bestätigt, daß ich dringend eine körperliche Untersuchung und Abklärung des Bluthustens benötige und mir wurde geraten, mich an die Rufnummer 116117 zu wenden.

Beim 3. Versuch und nach insgesamt 35 min in der Warteschleife habe ich dort verständnisvolle Beratung erhalten. Mir wurde empfohlen, mich dringend an einen Lungenfacharzt in meiner Nähe zu wenden. Ich erhielt 2 Rufnummern. Im 1. Fall war niemand erreichbar. Bei der 2. Rufnummer war eine sehr freundliche Mitarbeiterin am Telefon, die mir sagte, daß sie leider keine neuen Patienten annehmen und die Wartezeit für Patienten aus der Kartei 14 Monate betragen würde. Sie riet mir, mich doch wieder an meine Hausärztin zu wenden, damit sie mich noch heute bei der Fieberambulanz anmeldet, um mich dort untersuchen zu lassen. Das war doch endlich mal ein konkreter Vorschlag!

Am Dienstagabend, dem 10. November, war ich direkt zur Öffnungszeit um 18 Uhr in der Fieberambulanz. Dort erhielt ich dann endlich eine körperliche Untersuchung. Die Sauerstoffsättigung war in Ordnung, die Lunge beim Abhören schien frei. Es wurde der Abstrich für den SARS-CoV-2 PCR-Test genommen. Ich könne etwa am Donnerstag Mittag mit dem Ergebnis rechnen, das ich online abfragen solle. Davon hinge dann alles Weitere ab. Bei negativem Ergebnis sollte ich bei meiner Hausärztin dringend um eine Röntgenaufnahme des Thorax bitten.

Am Donnerstag, dem 12. November gegen 12.00 Uhr war das Ergebnis des PCR-Tests online verfügbar: negativ. Prima. Also weiter zum nächsten Schritt. Wieder Anruf bei der Hausärztin mit der Bitte um Überweisung zum Röntgen. Überweisung abgeholt (nun durfte ich ja in die Praxis kommen) und nach eigenem Anruf glücklicherweise sofort einen Termin in der Röntgenabteilung der nächstgelegenen Klinik bekommen.

Um 16.00 Uhr Ankunft in der Klinik. Ausbrechende Panik am Empfang bei Durchsicht meines ausgefüllten Corona Fragebogens, da ich ja leider fast alle Symptome von COVID-19 aufwies. Man könne mich AUF KEINEN FALL hineinlassen! Ich zeigte fast mit Stolz auf meinem Smartphone das negative PCR-Ergebnis. „Wann waren sie bei der Probennahme? Am Dienstag? Das ist ja 48 Stunden her. Da müssen wir doch zunächst erst besser einen neuen PCR-Test...“ Mit letzter Energie setzte ich mich zur Wehr, denn es fehlten ja noch mehr als 2 Stunden bis zum Ablauf der Frist. Also meldete man mich nach kurzer Diskussion in der Röntgenabteilung an und ließ mich rund 1 Stunde im kalten Hof warten, bis ich aufgerufen wurde.

Ergebnis der Röntgenaufnahme: Beidseitige Lungenentzündung. Sofort solle ich mich wieder mit meiner Hausärztin in Verbindung setzen um das weitere Vorgehen zu besprechen. Das Antibiotikum hätte ich ja bereits und soll es weiternehmen. Wenn es nicht besser wird in den kommenden Tagen, soll ich mich wieder melden.

Es wurde nicht besser. Auch später mit dem 2. und 3. Antibiotikum nicht. Weitere Laboruntersuchungen verliefen ergebnislos, es ließ sich einfach kein Erreger identifizieren. In der folgenden Zeit ging es mir immer schlechter. Das Bluthusten wollte einfach nicht aufhören, ich wurde immer kraftloser. Zu dieser Zeit habe ich meine Wohnung nur noch für die notwendigen Arztbesuche verlassen. Freunde haben mich unterstützt und für mich eingekauft. Ich habe fast nichts mehr essen können, habe alles nach kurzer Zeit wieder erbrochen. Selbst die Flüssigkeiten. Jeder Tag war zunehmend nur Quälerei. So etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt.

Am 29. November war die Atemnot so groß, daß ich die Treppe innerhalb meiner Wohnung kaum noch bewältigen konnte. Ich war jetzt einverstanden, den Rettungswagen zu rufen. Ich war sehr aufgeregt als ich die Sirene nahen hörte, aber ich spürte, daß ich dringend Hilfe benötige. Daß es einfach nicht mehr anders geht. Aber ich ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, daß es mehr als 3 Monate dauern würde bis ich wieder nach Hause komme. Meine Sauerstoffsättigung wurde mit knapp über 80 gemessen und ich erhielt sofort Sauerstoff über eine Maske. War dankbar für die beruhigenden Worte, das kompetente und vertrauensbildende Verhalten des Notarztes. Ich wurde in die nächstgelegene Klinik gebracht. Dort erfolgte in einem Nebenraum wieder der unvermeidliche Corona-Test. Ich kann mich recht gut erinnern. An die ganze Aufnahmeprozedur. Die körperliche Untersuchung, die Blutabnahme. Und daran, daß ich schließlich auf ein Stationszimmer gebracht wurde. Und dann ist alles Dunkel. Der für mich nächste bewußt erlebte Tag war der 24. Dezember, also fast 4 Wochen später.

Was sich in dieser Zeit ereignet hat, weiß ich nur aus Berichten meines Freundes und aus den umfangreichen Arztbriefen. Beidseitige schwerste Bronchopneumonie. Bildgebend COVID-19 möglich, aber ohne Virusnachweis. Schweres Atemnotsyndrom (ARDS). Eisenmangelanämie. Akutes prärenales Nierenversagen (Kreatinin 4,8 mg/dl). Exsikkose. Erhöhte Entzündungsparameter (CRP 183 mg/l, Leukozytose 12.900). Ich wurde sediert und zunächst nicht-invasiv beatmet. Im Tagesverlauf des 1. Dezember war absehbar, daß die schwere Pneumonie ohne invasive Diagnostik nicht adäquat in den Griff zu bekommen war und man nahm Kontakt mit dem Sankt Josef Krankenhaus Freiburg auf. Dorthin wurde ich am 2. Dezember verlegt. Zuvor war ich jedoch respiratorisch so erschöpft, daß ich intubiert und invasiv beatmet werden mußte. Der Eisenmangelanämie konnte aufgrund meines schlechten Allgemeinzustands nicht nachgegangen werden. Ich erhielt das erste von insgesamt 4 Erythrozytenkonzentraten.

Im Sankt Josefs Krankenhaus zeigte das Lungen-CT inzwischen Konsolidierungen und Fibrosierungen, insbesondere in den Unterlappen. Erneute SARS-CoV-2 PCR-Tests, auch aus dem Trachealsekret, waren negativ. Auch andere virale oder bakterielle Erreger konnten nicht nachgewiesen werden. Das Nierenversagen wurde mittels Citrat-Dialyse behandelt. Aufgrund massiv erhöhter D-Dimere erhielt ich hochmolekulares Heparin. Weitere Laboruntersuchungen zeigten unter anderem einen erhöhten pANCA Titer von 1:80, einen MPO-Titer von77 E/ml sowie erhöhte SS-Ro-Antikörper. Anti-GBM-Antikörper negativ. Extubation am 10. Dezember und Re-Intubation am 11. Dezember bei Vigilanzminderung und respiratorischer Azidose. Es erfolgte eine weitere respiratorische Verschlechterung. Schwerste Hyperkapnie unter therapeutischer Bauchlagerung (pH bei Abbruch 7,03) und schließlich Kontaktaufnahme zur Uniklinik Freiburg.

Auf die dortige Intensivstation MIT I wurde ich dann am 13. Dezember zur weiteren Diagnostik, Therapie und ggf. extrakorporalem Lungenersatzverfahren (ECMO) verlegt. Ich erhielt Endoxan vom 14. bis 22. Dezember, kumulativ 1900 mg. Am 21. und 28. Dezember jeweils 1000 mg Rituximab. 3x 250 mg Soludecortin. Zwischen 14. und 18. Dezember erhielt ich außerdem insgesamt 5 Plasmapheresen. Das Thorax-CT am 14. Dezember zeigte eine Lungenarterienembolie (LAE) im Unterlappen rechts. Neurologisch bestand hoher Sedierungsbedarf bei Unruhe und „Pressen“ gegen das Beatmungsgerät. Mit Propofol, Sufentanil und Clonidin konnte eine adäquate Tubustoleranz erreicht werden. Nach Extubation am 18. Dezember hatte ich, wie schon nach der 1. Extubation am 10. Dezember, optische Halluzinationen (Delir) welche jedoch durch Gabe von Zyprexa in den folgenden Tagen zurückgingen. Bis 21. Dezmber war eine Highflow Therapie notwendig. Anschließend wurde ich mit 4 L Sauerstoff über eine Nasenbrille versorgt.

Wie nun habe ich diese 4 Wochen „Blackout“ erlebt? Bewußt gar nicht, aber unterbewußt sehr lebhaft. Offenbar habe ich einige der obigen Informationen aufschnappen können und in meine „Träume“ bzw. Wahnvorstellungen eingebaut. Hier einige Beispiele: Ich wurde von einer Ärztin in einen großen Raum gebracht. Dort waren viele Menschen liegend in flüssigkeitsgefüllte Plastikbeutel eingeschweißt und in Gestelle aufgespannt. Dieses lebensrettende Verfahren hieße Plasmapherese und man könne mir das auch anbieten, damit es mir besser ginge. Mir wurde später eine Niere entnommen, was ich als sehr schmerzhaft und angsterfüllend erlebt habe. Aus dem entnommenen Organ könne man den Rest meines Körpers neu anzüchten und dieser sei dann wieder völlig gesund. Aber was geschieht dann mit meinem kranken Körper, fragte ich mich? Und wer von den beiden bin dann ich, wenn es mich 2 mal gibt? Ich sah mich selbst auf der Straße herumlaufen. Fit und gesund, aus meinem kranken Körper heraus. Mein Intensivbett bestand aus menschlichen Knochen (es sah auch wirklich irgendwie organisch geformt aus). In meinem Bett lebte eine Mäusefamilie, direkt neben meinem Hals. Ich spürte das weiche Fell, die Schwänze kitzelten mich. Mein Freund erzählte mir später daß ich ständig versucht hätte, mir meine Zugänge am Hals herauszureißen. Man hat mich deshalb zeitweise an das Bett fixieren müssen. Am Fußende meines Bettes saß auf einem Stuhl eine blonde langhaarige Schaufensterpuppe, damit ich nicht so allein wäre. Ärzte und Schwestern hatten zeitweise bunte Clownskostüme an oder trugen Pudelmützen. Dann waren da nebeneinander kleine, würfelförmige Räume mit jeweils einer Ausgangstüre. Ein Raum war sehr hell, fast transparent. Einer ganz bunt und es spielte laute Kirmesmusik. Ein Raum war dunkelgrau, wie mit Schaumstoff ausgekleidet, aus dem Fratzen gebildet waren. Ich sollte mich entscheiden, durch eine der Türen hindurchgehen. Eines war der Weg in das Leben, der andere der Weg in den Tod. Soviel schien mir sofort klar. Aber wohin führte wohl der dritte Weg? Und war das bunte Zimmer wirklich der Weg zurück in das Leben oder war das nur ein fieser Trick? Ich wollte doch so unbedingt zurück. All diese Bilder habe ich auch jetzt noch lebhaft vor mir. Es wundert mich also nicht, daß ich sehr unruhig war. Noch immer merkwürdig ist für mich, daß ich aus meinem Intensivzimmer real existierende Teile der Uniklinik gesehen habe, die man von dort aus definitiv nicht hätte sehen können. Ich sah links einen rot weißen Schornstein, das grüne Dach eines ovalen Gebäudes. Und ich hörte und sah über mir ständig Rettungshubschrauber starten und landen. Zu diesem Zeitpunkt kannte ich mich auf dem Gelände der Uniklinik überhaupt nicht aus. Holte das später mit dem Lageplan aber nach, um die Bilder im Kopf zu verstehen. Es ergab sich aber tatsächlich keine vernünftige Erklärung.

Ich bin all den Menschen, die wochenlang um mein Leben gerungen haben, unendlich dankbar. Ich habe größte Bewunderung für diese Tätigkeit. Neben der guten medizinischen hatte ich beste Betreuung durch den Psychologischen Dienst. Ich hatte und habe außerdem viel geistige und praktische Unterstützung aus meinem Freundeskreis und dem beruflichen Umfeld erfahren. Viele Menschen haben für mich gebetet, Kerzen angezündet. All das ist ein großes Geschenk und ich bin unendlich froh, diese Worte hier heute überhaupt schreiben zu dürfen. Ich habe diese Zeit nur sehr knapp überlebt.

Mein bester Freund war die ganze Zeit an meiner Seite. Auf der Intensivstation durfte er mich nach vorheriger Anmeldung regelmäßig alle 1-2 Tage besuchen, für jeweils 1-2 Stunden. Alle Anwesenden sagten, ich hätte mich dann immer ganz anders verhalten, sei viel ruhiger geworden. Das glaube ich gern. Für ihn und auch für meine Eltern, weit weg im fernen Berlin, war das Ganze auch wie ein Albtraum. Es wäre für meine Eltern sinnlos gewesen nach Freiburg zu kommen, sie hätten aufgrund der Corona Pandemie ohnehin nicht zu mir gedurft. Aber hätte ich dies nicht geschafft dann wäre eine Videoschaltung organisiert worden, damit meine Eltern mich noch einmal sehen können. So weit ist es zum Glück nicht gekommen. Es war wohl einfach noch nicht meine Zeit.

Als ich dazu wieder in der Lage war, durfte ich täglich sogar mehrmals telefonieren. Mit stets gleicher Freundlichkeit und Mitfreude wurde mir das Stationstelefon gereicht. Mein Handy hatte ich zwar dabei, aber leider die PIN vergessen. Bei jedem noch so kleinen Fortschritt habe ich aufrichtige Mitfreude und Motivation vom ganzen Intensivteam erhalten. Nie habe ich mich allein gefühlt.

Mein Freund hatte die amtliche Betreuung für mich übernommen. Auch dafür bin ich sehr dankbar. Niemand wäre dafür besser geeignet gewesen. Die Vorstellung, eine mir völlig fremde Person hätte medizinische Entscheidungen für mich treffen müssen, erschreckt mich noch heute. Er wurde stets gut über jeden einzelnen Schritt informiert. Man hat sich viel Zeit für Gespräche genommen. Eine sehr gute Freundin aus Berlin, selbst Dr. med., hat meinen Freund in der Kommunikation mit meinen Eltern unterstützt. Besser hätte es einfach nicht sein können.

Am 22. Dezember wurde ich auf die Normalstation verlegt, die Nephrologie. Dann aber zeigte sich wieder eine rasche respiratorische Verschlechterung aufgrund einer CO2-Retention. Also ging es am Folgetag wieder zurück auf die Intensivstation. Dort habe ich die Weihnachtsfeiertage verbracht, was sehr gut für mich war. Diese etwas ruhigere Zeit brauchte ich, um wieder einigermaßen zu mir zu kommen. Ich fühlte mich wie neben mir. Als hätte ich meinen Körper kurz verlassen und meine Hülle würde mir nun nicht mehr richtig passen. Wollte ich etwas greifen, so griff ich stets knapp daneben. Ich habe nicht wirklich verstanden, was passiert ist. Dachte zunächst, ich hätte einen Unfall gehabt. Wußte nur noch mit Mühe, wie ich heiße, wenn ich danach gefragt wurde. Und es war ein äußerst merkwürdiges Gefühl, einfach gar nichts mehr selbst zu können. Wieder wie ein Kleinkind zu sein. Mein Körper fühlte sich aufgrund des starken Muskelabbaus durch das lange Liegen im künstlichen Koma an wie der sprichwörtliche nasse Sack Reis. Die Arme zu schwer, um sie auch nur ein klitzekleines Stückchen anzuheben. Zum späteren Aufsitzen brauchte ich Hilfe und mußte mit Kissen gestützt werden, um nicht wieder umzufallen. Von Aufstehen können keine Rede sein. Ich habe täglich Physiotherapie erhalten und dadurch schnell kleine Fortschritte gemacht. In der Zeit vom 4. bis 24. Dezember wurde ich mittels kontinuierlicher venovenöser Hämodialyse (CVVHD) dialysiert. Der Auslaßversuch war dann erfreulicherweise erfolgreich. Der Kreatinin-Wert war stetig rückläufig. Ich erhielt außerdem weitere 450 mg Endoxan. Am 27. Dezember konnte ich dann unter 1 L Sauerstoff per Nasenbrille endgültig zurück auf die nephrologische Normalstation verlegt werden. Von da an war es leider vorbei mit den Besuchen. Zumindest gelegentliches Winken am Fenster aber war möglich und auch sehr schön.

Es zeigte sich in den folgenden Tagen eine zunehmende klinische Besserung, die Sauerstoffgabe konnte am 31. Dezember ganz beendet werden. Auch meine Mobilität nahm stetig zu, die Folge harter, täglicher Arbeit mit dem tollen Physiotherapie Team. Einige Wochen später war ich mit dem Rollator sogar stationsmobil. Schaffte es mit Hilfe, ein paar Treppenstufen zu gehen. Das Fallen gehörte dazu, aber lief zum Glück ohne weitere Verletzungen ab. Eine Zeitlang noch gingen mir büschelweise die Haare aus. Wodurch genau dies verursacht wurde, ist für mich nicht auszumachen da ich so viele verschiedene Medikamente zeitgleich erhalten habe.

Am 25. Januar konnte ich direkt von der Uniklinik zur Anschlußheilbehandlung in eine Lungenklinik nach Bad Dürrheim verlegt werden. Da ich gesundheitlich stabil war, erfolgte die Verlegung mit dem Taxi. Bereits das Einsteigen war eine große Herausforderung und gelang mir aufgrund der noch immer geringen Muskelkraft nur auf allen Vieren. Das geht ja gut los, dachte ich. Werde ich das überhaupt schaffen in der Reha? Werde ich klarkommen so ganz allein im Zimmer? Schon auf der Fahrt durch Freiburg hatte ich eine totale Reizüberflutung. Es gibt sie noch, die reale Welt da draußen! Nach 2monatigem Aufenthalt in der Krankenhausblase war das wirklich sehr seltsam und irgendwie auch beängstigend. Jetzt war es vorbei mit der Rundum-Betreuung und der damit verbundenen Sicherheit.

Die finale Diagnose im Arztbericht lautete MPO-positive ANCA-Vaskulitis (Mikroskopische Polyangiitis) mit schwerer Nieren- und Lungenbeteiligung. Der Zusatz Chronische Nierenerkrankung G3b A2 kam später noch hinzu. Wann genau mir die Diagnose MPA zum ersten Mal mitgeteilt wurde und was das für mich bedeutet hat, kann ich rückblickend leider nicht mehr sagen. Es war eben einfach so. Die Ereignisse hatten nun einen Namen.

Die 5wöchige Reha hat mir sehr gutgetan. Es ging weiter bergauf, natürlich mit kleinen Rückschritten verbunden. Viele Tränen flossen. Verzweiflung und Hilflosigkeit über das, was nicht mehr geht. Mit 55 Jahren nicht einmal allein von einem Hocker oder dem WC wieder aufstehen zu können, ist keine wünschenswerte Erfahrung. Aber Eines tröstete mich dann immer: ich habe überlebt! Das hat etwas zu bedeuten, ich werde es schätzen und stets das Beste daraus machen. Dieser Satz wurde mein ganz persönliches Mantra. Der Rollator mußte trotzdem weg, das war mein unbedingtes Ziel. Treppen mußte ich dringend wieder laufen lernen, denn meine Wohnung ist nicht ebenerdig. Das freie Laufen war zwar extrem unsicher und kräftezehrend, aber ich tastete mich stückweise heran. Zuerst nur im Zimmer, dann mal ohne Rollator zum Essen getraut und zu einzelnen Therapien. Ein ganz neues Körpergefühl ist entstanden.

Und trotzdem ist nach diesem ereignisreichen 13wöchigem Aufenthalt in verschiedenen Kliniken nichts mehr wie zuvor. Meine mentale Leistungsfähigkeit hat gelitten, wie meine körperliche. Konzentrieren ist schwierig. Lesen fällt sehr schwer, dabei habe ich es so geliebt und konnte ohne Bücher einfach nicht sein. Ich lese weiterhin viel. In der Hoffnung, daß es dadurch besser werden kann. Die ständige bleierne Müdigkeit ist ebenfalls neu. Ohne tägliche Mittagsruhe überstehe ich den Tag nicht. Und dabei bin ich aktuell noch immer arbeitsunfähig. Ich spüre, daß sich mein Köper von diesem Kampf ums Überleben noch nicht erholt hat. Ich übe weiter, mache Nordic Walking, wann immer es geht. Mal klappt das recht gut, mal sehr schlecht. Mal traue ich mich gar nicht erst loszugehen. Die Stöcke geben mir Sicherheit beim Gehen und Pausieren, wenn die Atemnot unter Belastung kommt. Und das passiert leider recht schnell.

Meine wichtigste Frage beim Verlassen der Uniklinik war: wie geht es nach der Reha weiter? An welche Fachärzte soll ich mich mit dieser Erkrankung wenden? Wird es mir gelingen, überhaupt Termine zu erhalten? Es war eine große Erleichterung für mich zu erfahren, daß man mich nicht aus der Hand geben wird. Daß ich alle 4-6 Wochen in die verschiedenen Ambulanzen (Nephrologie, Pneumologie und Rheumatologie) in die Uniklinik Freiburg geladen werde. Und bisher liefen diese Kontrolluntersuchungen gut. Ich fühle mich sehr gut aufgehoben, informiert und versorgt.

Meine derzeitige Medikation:


Prednisolon ausschleichend, aktuell 5 mg 1-0-0
Xarelto 15 mg 1-0-0
Torasemid AL 10 mg 1/2-0-0
Pantoprazol 20 mg 1-0-0
Folverlan 5mg 1x pro Woche 1-0-0
Colecalciferol 20.000 I.E. 1x pro Woche 1-0-0
Bisoprolol 5 mg 0-0-1
Bei Bedarf inhaliere ich mehrmals täglich mit IpaBronch 500 ug und Salbutamol AL Fertiginhalat
Zusätzlich nehme ich täglich 1 Kapsel PADMA 28 ein

Die erste ambulante Rituximab Behandlung (500 mg Rixathon) zur Remissionserhaltung erfolgte am 25. Juni in der onkologischen Tagesklinik im ITZ der Uniklinik Freiburg. Der Infusion ging eine Gabe von Paracetamol (oral), Tavegil und Cortison (beides i.V.) voraus. Ich habe während der Behandlung viele Stunden geschlafen, war anschließend froh mit dem (leider nicht von der Krankenkasse übernommenem) Taxi heimzufahren. Dort mußte ich mich gleich wieder hinlegen. Am Abend setzten heftige Kopfschmerzen und ein starkes Gefühl der Mundtrockenheit ein. Mehr bemerke ich neben der stärker gewordenen Müdigkeit bisher nicht. Der nächste Infusionstermin ist aktuell für den 17. Dezember vorgemerkt. Zwischenzeitlich werden zunächst im 2wöchentlichen Abstand Blutuntersuchungen erfolgen. Zum Infektionsschutz erhielt ich den Rat, die allseits bestens bekannten Corona Hygieneregeln weiterhin streng einzuhalten. „Aber leben Sie auch, das ist wichtig!“ Dieser Hinweis gefällt mir sehr gut. Die Herausforderung für mich ist, den mittleren Weg zu finden.

Oft wurde ich in den vergangenen Monaten von verschiedenen Ärzten gefragt, ob ich denn vor diesem schweren Ausbruch der MPA wirklich keine Symptome hatte. Ich müßte doch etwas bemerkt haben. Gar nichts habe ich bemerkt. Ich habe gearbeitet, gegessen und geschlafen. Habe funktioniert. Jetzt ist das Hamsterrad angehalten worden. Von 100 auf 0 und alles muß sich ganz neu ausrichten.

Dieser Erfahrungsbericht soll niemandem Angst machen. Er soll die Patientengeschichten auf dieser Webseite ergänzen. Ich werde weiterhin lernen, mit der Erkrankung umzugehen und mich ihren Herausforderungen zu stellen. Nicht aufgeben. Nicht ins Jammern verfallen. Den Fokus auf das legen, was noch geht, nicht auf die Defizite. Und das wünsche ich auch allen anderen Betroffenen. Ich gebe mir Zeit für die Neuausrichtung, die jetzt unumgänglich ist und sich finden wird. Ich sehe zuversichtlich in die Zukunft und konzentriere mich auf das, was mir guttut.

Susanne, am 1. Juli 2021

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