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Tinas Geschichte

Mein Name ist Tina, ich komme aus einer schönen Stadt am Rhein und habe eine zerebrale Vaskulitis.

Was bisher geschah....

...das ganze Jahr 2017 war übersät mit Migräneschüben. Gut, kann passieren, denn ich hatte doch schon seit Jahren Migräne - dachte ich! Es wurde zwar nie offiziell diagnostiziert aber alle Zeichen standen auf Migräne. Mal mehr, mal weniger - 2017 aber extrem. Es wurde von Schub zu Schub schlimmer. Es gab Wochenenden an denen ich auf allen Vieren in die nächste Notapotheke gekrabbelt bin und um Medikamente gefleht habe. Ich war natürlich auch des Öfteren bei meiner Hausärztin die es immer als „Wehwehchen das vom Rücken kommt“ abgetan hat. Also wurde für ein Heidengeld osteopathisch an mir herum gedrückt und gezogen um mich dann wieder nach Hause zu schicken.

Ab Juni/Juli 2017 hat mein Körper dann angefangen sich zu weigern Mahlzeiten zu verdauen und hat mir diese Retoure geschickt. Anfangs nur ab und zu, ab September 2017 immer öfter. Im Oktober kam "das Frieren" dazu. Ich hatte so unglaublich kalt. Alle Versuche mich zu wärmen schlugen fehl.

Mitte Dezember 2017 kam dann wieder ein Wochenende an dem ich höllische Kopfschmerzen hatte. Aber montags bin ich (tapfer wie immer) auf die Arbeit. Dort angekommen bin ich dann einfach umgekippt. Ab da ging gar nichts mehr - steifer Nacken, höllische Kopfschmerzen, dauerhaftes Erbrechen, Tremor, Tinnitus. Drehschwindel, Sehstörungen (wie ich später erfuhr nur eine Migräneaura und völlig harmlos) und mir tat einfach alles weh. Mein ganzer Körper war eine einzige große Baustelle. Selbst meine Haarwurzeln taten weh. Meine Hausärztin hat es als "verschleppte Magen-Darm-Grippe" abgetan und mich 3 Tage krankgeschrieben. Als ich dann Zuhause unter der Dusche wieder umkippte hat mein Sohn in seiner Panik einen Krankenwagen gerufen. Ich wurde also in unser örtliches Krankenhaus gebracht wo man auf einen Magen-Darm-Virus tippte und mich kurzerhand in ein Isolationszimmer verfrachtete. 3 Tage, ein Neurologe (der so gar keine Lust hatte sich mit mir zu beschäftigen) und eine wirklich engagierte HNO (die mir aber nicht helfen konnte) später ist dann ein Arzt auf die Idee gekommen ein MRT vom Kopf zu machen. Ich muss zugeben, dass ich mir bis dahin gar nicht so viele Gedanken gemacht hatte. Ich war 40 Jahre alt und an sich ja gesund. Da wird man doch mal krank sein dürfen ohne, dass es gleich etwas Schlimmes ist!?

Nach dem MRT war dann aber plötzlich Panik angesagt. Alle wurden total hektisch, die Leute vom Krankentransport standen schon in meinem Zimmer, mein Sohn und meine Eltern waren da, meine Tasche war gepackt. Ein kurzes "Sie haben eine riesige Entzündung im Gehirn - Sie müssen sofort auf die Intensivstation" musste als Erklärung reichen und dann ging es mit Blaulicht in die Mainzer Uniklinik. Die Bilder waren wohl so gruselig, dass ich direkt auf die Stroke Unit kam. Die Ärzte waren total geschockt, dass ich geistig noch anwesend war. Wie ich später erfuhr hatten sie einen Pflegepatient erwartet der nicht mehr ansprechbar ist. Dort angekommen wurde dann zuerst eine Lumbalpunktion gemacht. Das Ergebnis war niederschmetternd und die Hoffnung, dass das ein gutes Ende nehmen würde schwand von Mal zu Mal. So viele entzündliche Zellen im Liquor (276 - der Höchstwert liegt bei 5!). Was zur Hölle war die Ursache? Und wie lange hatte ich das bei diesen Werten schon? Es wurden alle "externen Verursacher" (Syphilis, Herpes und die anderen üblichen Verdächtigen) ausgeschlossen und so blieb nur eine vaskuläre Angiitis bzw. ZNS/zerebrale Vaskulitis übrig. Mein persönlicher Albtraum in Form einer Autoimmunerkrankung wurde wahr. Ein Phantom dem man nachjagt aber nicht zu fassen bekommt.

Alle möglichen Untersuchungen (CT, Gyn, Ultraschall, etc.) folgten und man begann mit einer Kortison Stoßtherapie (1000 mg pro Tag für 5 Tage). Die entzündlichen Zellen im Liquor hatten sich nach der Stoßtherapie deutlich verringert (140). Nach 12 Tagen im Krankenhaus durfte ich nach Hause. Das Kortison schien also zu wirken. Im Gepäck täglich 100 mg Kortison, Magenschutz und Dekristol. Aber ok, alles kein Problem - das ist jetzt so, also Augen zu und durch.

Das Kortison sollte ich relativ schnell herunterfahren und war im Februar 2018 schon bei nur noch 20 mg pro Tag. Ich merkte aber ziemlich schnell, dass etwas nicht stimmte und der Druck und die Schmerzen im Kopf zurückkamen. Leider hat man meine Hilferufe mit dem Hinweis "das gehört zum Heilungsprozess – Anderen geht es viel schlechter" abgetan und hat sich nicht näher damit beschäftigt. Die Vaskulitis hatte also mal wieder den Heimvorteil und hat gewonnen. So hatte ich Anfang März 2018 einen epileptischen Anfall. Die Entzündung hatte sich rasant ausgebreitet und drückte extrem auf mein Sprachzentrum. Also, alles zurück auf Anfang: ab in die Uni, wieder Stoßtherapie, Lumbalpunktion, MRT. Der Arztbrief liest sich heute noch wie ein schlechter Horrorfilm. Meinem Sohn hat man gesagt, dass man nicht wüsste ob ich nochmal aufwache und selbst wenn, wäre die Frage ob ich nicht massive Schäden hätte. Aber ich wurde wach und mir ging es gut. Naja ok, ich konnte nicht lesen, mich nicht konzentrieren und habe vergessen wie man läuft - aber so ging es mir gut und ich war völlig klar im Kopf!!! Auf diese Odyssee folgten noch eine Angiographie, Lumbalpunktionen und zusätzlich eine Menge Medikamente gegen Epilepsie und 15 mg MTX in Tablettenform. Nach 10 Tagen durfte ich endlich nach Hause. Die Medikamente mussten erst langsam hochgefahren werden bis der Spiegel erreicht und in Ordnung war. Nach einer Weile fing ich an ganz "schlimme Gedanken" zu entwickeln. Wie gut es für alle wäre wenn es mich nicht mehr gäbe, wie glücklich alle wären wenn sie sich nicht um mich kümmern müssten, dass das Elend dann endlich ein Ende hat und ich für andere keine Belastung mehr wäre... Zum Glück habe ich ein einjähriges medizinisches Fahrverbot bekommen. Ich glaube ohne dieses wäre ich vor den nächsten Brückenpfeiler gefahren. Ich war so erschrocken und verzweifelt. So kenne ich mich nicht! An diesem Punkt habe ich mich dann auch nicht mehr abwimmeln lassen und habe mir Gehör verschafft. Meine Ärzte haben zum Glück sofort reagiert und die Epilepsiemedikamente umgestellt und die bösen Gedanken und Dämonen verschwanden langsam.

So verging der Rest 2018 eigentlich ohne weitere größere Katastrophen. Gut, die Psyche litt extrem und das Aussehen veränderte sich im Wochenrhythmus aber das zähle ich mal zum „normalen Wahnsinn“. Anfang 2019 zeigte sich dann aber im MRT eine zusätzliche aber schon ältere Läsion und wir haben auf 15mg MTX als Spritze umgestellt weil die Wirksamkeit in der Form wohl höher ist. Die Epilepsiemedikamente durfte ich langsam ausschleichen. Es ging also wieder bergauf! Da Mitte 2019 alles recht stabil war und ich nur noch die Erhaltungsdosis von 5 mg täglich nahm starteten wir den Versuch das Kortison auszuschleichen. Leider kamen die Symptome zurück und wir fingen wieder bei 20 mg an. Ich arbeitete mich erneut runter auf die Erhaltungsdosis die ich im Februar 2020 erreichte.

Im März 2020 hatte ich dann eine Verlaufskontrolle und das MRT war besser. Nicht schlechter, nicht gleichbleibend scheiße...nein, es war tatsächlich besser!!! Das erste wirkliche Erfolgserlebnis in diesem ganzen Drama! Also haben wir noch einmal den Versuch des Ausschleichens gestartet und dafür aber die MTX Dosis auf 25 mg wöchentlich erhöht. Diese Dosis hat es wirklich in sich. Ich spritze samstags abends und liege dann sonntags flach, bin total wirr und unkoordiniert. Aber wenn es meinen Dachstuhl davon abhält weiter zu brennen halte ich das aus!

Den Entzug vom Kortison habe ich auch seit ein paar Wochen hinter mir und es geht mir gut. Im Dezember steht die nächste Kontrolle an und ich bin natürlich gespannt ob und was sich getan hat.

Ich habe das große Glück mit wahren Freunden, einer tollen Familie und einem verständnisvollen Arbeitgeber gesegnet worden zu sein die immer und ohne zu zögern da waren, mich aufgefangen und "gehutschert" haben! Mein Papa ist außerdem Gefäßchirurg im Ruhestand und hat immer übersetzt und/oder aufgeklärt. Leider gibt es für unsere Erkrankung keinen "Fahrplan" und sie ist (noch) nicht ausreichend erforscht. Es heißt also weiter testen und ausprobieren - Hauptsache es hilft.

Rückwirkend betrachtet hat mein Körper schon vor langer Zeit angefangen Dinge auszugleichen und Notrufe abzusetzen die ich aber offensichtlich nicht hören wollte. Ich hatte verdammt viel Glück, musste nie in eine Reha und habe auch sonst keinerlei Folgeschäden. Aber wie auch immer das alles noch weiter geht: diese Geschichte hat mir gezeigt auf meinen Körper zu hören, Dinge zu akzeptieren die ich nicht ändern kann aber vor allem, dass ich leben möchte - jetzt mehr denn je!!!

Ich freue mich auf den Austausch und Euch kennenzulernen. Zu wissen, dass man nicht alleine ist macht das Päckchen gleich ein kleines bisschen leichter.

Liebe Grüße

18.10.2020
tinakunz22 [at] googlemail [dot] com
15.10.2020