}

Patientengeschichte 2000 - 2008

Wann es begonnen hat mit meiner Vaskulitis, das weiß ich nicht genau. Im Jahr 2000 fühlte ich mich nicht wohl, ich fror, verlor an Gewicht , war kraftlos bis ich schließlich zusammengebrochen bin und mich ins Bett legte. Ich hatte keine Schmerzen nur fühlte ich mich so elend, dass ich das Gefühl hatte, hier ist was ernstes. Ich nahm, mehr zum Spaß, ein Fieberthermometer und es zeigte dann 39°. Ich hatte nie Fieber. Dies veranlasste mich, zu meinem Hausarzt zu gehen der Blut abnahm und feststellte, dass meine Entzündungswerte: Blutsenkung und CRP extrem hoch waren. Er gab mir 40 mg Cortison und es wurde etwas besser. Er sagte: dies ist eine Schilddrüsenentzündung, eine klare Diagnose! Ich war misstrauisch, denn nach einer Radiojodtherapie vor gut einem Jahr hatte ich keine Schilddrüse mehr, die sich entzünden konnte. Eine Nachuntersuchung war 2 Monate zuvor erfolgt. Ich faxte also den Bogen mit meinen Blutwerten ins Katharinenhospital nach Stuttgart, dort wo die Radiojodtherapie statt gefunden hatte, das war am Freitagabend vor Pfingsten. Trotz Cortison von 40 mg pro Tag ging es mir stündlich schlechter und ich sagte zu meinem Mann "wenn mir jetzt niemand mehr hilft, sterbe ich" , es war das eindeutige Gefühl regelrecht "einzugehen".

Am Dienstag nach Pfingsten (ich konnte praktisch nicht mehr stehen) kam morgens ein Anruf vom Katharinenhospital mit der Bitte, sofort, aber sofort und noch einmal sofort, d.h. heute morgen noch, nach Tübingen in die Universitätsklinik zu gehen. Wir riefen also in Tübingen an und die meinten, im September könne ich kommen. Ich rief also wieder in Stuttgart an und die sagten, ich soll über die Notaufnahme gehe, da müsste man mich nehmen, aber ich solle das sofort tun! Also packte mich mein Mann ins Auto mit allen Unterlagen und so wartete ich , ein Häufchen Elend, in der Notaufnahme bis ich dran kam.

Nachdem man das Blatt mit meinen Blutwerten gesehen hatte, wurde ich sofort in die innere Abteilung aufgenommen.

Das hohe Cortison, das ich ja immer noch einnahm störte die Ärzte sehr und sie verringerten es stufenweise, dabei ging es mir immer schlechter. Die vielen Untersuchungen begannen, 4 Wochen lang. Ein Arzt vermutete gleich zu Beginn eine Vaskulitis (hat er mir viel später erzählt), doch sie fanden dafür keinen Nachweis. Schließlich verwarfen sie die Möglichkeit einer Vaskulitis und suchten nur noch nach Krebs. Als sie nichts fanden steckten sie mich aus lauter Ratlosigkeit in ihr neuesten Gerät, auf das man in Tübingen damals sehr stolz war: ein PET (Positionsemissionstomograph). Das gemachte Bild war eine Sensation - jede Uniklinik wollte später dieses Bild haben - vielleicht zum ersten Mal war eine ausgedehnte Vaskulitis im Bild sichtbar. Alle großen Arterien , bis in den Kopf, die Arme und bis über die Abzweigung der Bauchschlagadern waren schwarz zu sehen, d.h. sie waren hoch entzündet.

Die Therapie mit 1000 mg Cortison begann. Als ich nach weiteren 4 Wochen bei 50 mg/Tag gelandet war, entließ man mich, abgemagert, im Gesicht wie ein Pfannkuchen, die Haut dünn und ich zitterte ständig.

Ich kam zur Anschlussheilbehandlung nach Oberammergau - 4 Wochen - wo mich der leitende Arzt folgendermaßen entließ: Sie landen ja doch im Rollstuhl! Sehr aufbauend!

Eine Ärztin aus Stuttgart , zu der ich zur Weiterbehandlung geschickt wurde, meldete mich in der Rheumaklinik in Bad Bramstedt bei Herr Prof. Groß an.

Für jeden Vaskulitispatienten ein sicherer Hafen der Hoffnung, denn dort kennt man sich aus und weiß um die Schwierigkeiten aller Vaskulitiden.

 Ich wurde und werde zwar nicht mehr gesund, doch geht es mir inzwischen sehr gut, ich bin bei 5 mg Cortison am Tag und bei 20 mg MTX pro Woche (das ich mir selbst spritze) .

Es waren Rückschläge dabei und viele Aufenthalte in Bad Bramstedt, manchmal alle drei Monate, weil die Herzarterien stark betroffen sind. Doch nun habe ich es zum ersten Mal geschafft, zwei Jahre bis zur nächsten Reise nach Bad Bramstedt vergehen zu lassen. Ich fühle mich wohl und habe die Hoffnung, dass es noch lange andauert.

Aber - nun kommt der zweite Teil der Geschichte

Durch diese Erkrankung habe ich meine berufliche Existenz verloren und ich musste komplett von Vorne anfangen.

Ich leitete 25 Jahre lang einen Filialbetrieb eines Familienunternehmens und war auch seit ein paar Jahren Teilhaber an dieser Firma, zusammen mit dem Hauptgesellschafter und Geschäftsführer, mein um zwei Jahre älterer Bruder, einer jüngeren Schwester und meiner Mutter.

Schon als ich in Tübingen lag, rief mich mein Bruder an, um zu testen, ob ich nicht doch noch arbeitsfähig sei, es ginge doch nicht, dass ich dort "faul" herumlag und mich nicht um die Firma kümmerte. Besucht hat mich niemand, kein Bruder , keine Schwester und keine Mutter.

Ihr Rat war, doch genügend Sauermilch zu trinken, dann ging es mir doch besser.

Nach der Entlassung wollte ich abends in mein Büro, ich war einfach noch zu schwach und sah so fürchterlich aus, dass ich mich noch nicht sehen lassen wollte, doch mein Schlüssel passte nicht mehr. Ich ahnte noch nichts! Am nächsten Abend kam mein Bruder, ich freute mich und dachte er würde mir Blumen bringen und mir sagen, wie froh er wäre, dass ich aus dem Krankenhaus heraus war. Doch es kam ganz anders:

Ich stand noch so unter dem Cortison, dass ich eigentlich noch gar nicht zurechnungsfähig war und ich erfasste die Tragweite dessen, was dann kam gar nicht so richtig, doch mein Mann - er war damals hoch depressiv und konnte nicht arbeiten, aber abends ging es ihm etwas besser - er verstand richtig.

Mein Bruder hatte die Schlösser ausgewechselt , mir das von der Firma bezahlte Krankengeld d.h. 6 Wochen Gehaltsfortzahlung vom Konto geholt, einen Nachfolger eingestellt , mir alle Vollmachten genommen und mir mitgeteilt, "dass ich nie mehr an meinen Arbeitsplatz zurückkommen würde". Das war der Empfang meines Bruders - der nach außen hin immer Gottes Wort im Munde führt und sich einen besonders guten Christen nennt.

Ich kam dann zuerst einmal nach Oberammergau zur AHB. Dort sah ich andere Schicksale, es war sehr schön dort, aber es ging mir nicht gut und die Blutwerte wurden schlechter und das Cortison wieder höher.

Inzwischen hatte mein Bruder eine Gesellschafterversammlung einberufen, bei der ich unentschuldigt gefehlt hatte, denn ich hatte die Post von meinem Heimatort nicht nachschicken lassen, mein Mann sollte mir sie bei einem Besuch bringen. Er hatte den Brief so geschickt, dass er den gesetzlichen Vorschriften entsprach aber so kalkuliert, dass ich ihn wahrscheinlich nicht rechtzeitig bekomme, da ich ja auch nicht damit rechnete.

So wurde ich aus meinem Arbeitsleben fortgejagt - ohne Abfindung, das war ja die Hoffnung - da ich ja bei der Versammlung nicht dabei war. Ich wäre damals gar

nicht reisefähig gewesen - außerdem konnte ich immer noch nicht klar denken.

Gegen ein solches Vorgehen gibt es nur den gesetzlichen Weg der Klage und dies innerhalb 3 Wochen.

Wieder Zuhause musste ich also einen Anwalt suchen der die Klage vorbereitet hat.

Inzwischen waren meine Blutwerte wieder so schlecht, und die Ärztin aus Stuttgart schickte mich nach Bad Bramstedt, wo ich vier Wochen blieb und auf MTX eingestellt wurde, um das hohe Cortison herunter zu fahren.

Wieder Zuhause und mit weniger Cortison wurde mir die Tragweite dessen was meine Familie (Bruder und Schwester) mit mir gemacht hatten so langsam bewusst und es war schrecklich. Ich musste mich mit Strategien herumschlagen, hatte kein Einkommen mehr, kein Auto, mein Mann verdiente auch nichts. Wir lebten dann vom Krankentagegeld meiner Krankenkasse , das uns über Wasser hielt und von meinen vorhandenen Ersparnissen.

Nach ein paar Wochen gingen meine Blutwerte wieder in schwindelnde Höhen und der nächste Aufenthalt in Bad Bramstedt war angesagt. Jedes Mal eine Reise von über 800 km!

Dort erreichte mich ein Brief meiner Schwester - sie hatte zuvor niemals bei mir angerufen, um sich einmal nach meinem Befinden zu erkundigen, von einem Besuch ganz zu schweigen . In diesem Brief war die schriftliche "fristlose Kündigung meines Arbeitsverhältnisses wegen Arbeitsverweigerung" .

Meine Schwester hatte diese Kündigung mir zukommen lassen , ans Krankenbett, bei meinem 2. Rückfall. Sie lud mich ein, dass ich jederzeit zu ihr kommen könne (vielleicht hätte ich dann auch eine Scheibe Brot bekommen) und ich solle zur Besprechung in die Firma kommen - (ich lag ja wieder einmal faul in einem Krankenhaus herum). Persönlich hat sie nicht mit mir gesprochen, niemals in der ganzen Zeit!

Man wollte mich zu einer Fristüberschreitung verführen, denn dann hätte ich keinerlei rechtliche Handhabe gegen die Firma gehabt und wäre in allem auf die Gnade meines Bruders und meiner Schwester angewiesen gewesen. Daß mein Anwalt und ich dies durchschaut haben, wurde mir sehr übel genommen.

Wieder Zuhause , die Firma in der ich 25 Jahre lang gerne gearbeitet hatte, ist in der gleichen Straße und meine Mutter wohnt im gleichen Haus. D.h. wenn ich zu meiner Mutter wollte musste ich durch den Firmenhof. Meine früheren Mitarbeiter und Kollegen waren so feindlich, ich konnte das gar nicht verstehen. Sie waren regelrecht "umgedreht" worden.

Die Sekretärin, die schon für meinen Vater gearbeitet hatte, die in der Firma tätig war seit ich 7 Jahre alt war und die meine engste Vertraute war, hatte , auf Geheiß meines Bruders, jedes Wort schriftlich notiert, das ich gesagt hatte, wann wo und mit wem ich gesprochen hatte. Wann ich im Büro war, wann ich gegangen bin. Ein Zufall war es, dass ich diese Berichte gefunden habe. Ich nahm sie an mich und habe darüber fast den Verstand verloren. Niemals, niemals hätte ich ihr so etwas zugetraut! Auch sie ist eine fromme Katholikin, die gerne Gottes Wort im Munde führt.

Den 1. Prozess hat mein Bruder verloren, auch in der zweiten Instanz.

Ich hätte also theoretisch wieder an meine Arbeit zurück gekonnt, so als ob nichts gewesen wäre. Dies waren die sog. "guten Ratschläge".

Aber mein Bruder hat die Chance, die Firma ganz für sich zu bekommen und zwar zum Nulltarif, nicht aus den Augen verloren.

Kurz nach dem mit einem Urteil beendeten Prozess hat er erneut eine Gesellschafterversammlung einberufen mit dem einzigen Tagesordnungspunkt: Mein Ausschluß als Gesellschafterin.

Inzwischen hatte er den Anwalt gewechselt . Man studierte das Gesetzbuch und zog die Sache von hinten auf: Was muß jemand getan haben, dass er als Gesellschafter ausgeschlossen werden kann? Diesen Fall muß man konstruieren und beweisen.

Durch das viele Kortison war ich emotional sehr angeschlagen und auch durch diese ganze Geschichte, man hatte mir sogar einen Psychologen verschrieben, dessen Hilfe ich in Anspruch nehmen sollte.

Erst viel später hat mir ein Mitpatient ein Fachbuch gegeben in dem über die Wirkung von hohen Kortisongaben auf die Psyche ausführlich geschrieben wird. Damals wusste ich das leider nicht.

Ich hatte mich nicht sehr freundlich über meinen Bruder geäußert - daraus wurde die Absicht, die Firma zu zerstören für die ich 25 Jahre lang mit viel Freude gearbeitet hatte.

Es kam zu einer neuen Gerichtsverhandlung. Das letzte Mal, dass unsere Familie, Mutter , beide Schwestern (eine ist nicht in der Firma tätig) Bruder und ich zum zusammen waren. Seitdem nie wieder!

Die Anschuldigungen meines Bruders waren so absurd, dass er sogar vom Richter zurecht gewiesen wurde. Nun ging es darum, diese Anschuldigungen auch zu beweisen!

Abhängige, junge Mitarbeiter schrieben Berichte, wie ich mich schrecklich über die Firma geäußert hätte. Auch die Mutter dieses jungen Mitarbeiters (der sich eine neue Karrieremöglichkeit in der Firma erhofft hatte) schrieb einen Bericht über meinen Geisteszustand und dass ich die Absicht geäußert hätte, die Firma zu vernichten. Ich kannte diese Frau gar nicht, ich habe sie einmal in Begleitung Ihres Sohnes auf der Straße getroffen. Ein langjähriger Mitarbeiter schrieb ebenfalls einen sehr seltsamen Brief in dieser Richtung an mich, was mich sehr verwunderte. Man benötigte Zeugen für einen Gerichtsverhandlung. Auch die Berichte der Sekretärin dienten diesem Zweck.

Als alles zu Ende war und ich wieder in die Büroräume konnte, fand ich die von meinem Bruder vorgeschriebenen Briefe, die von diesen Mitarbeitern nachgeschrieben und unterzeichnet werden mussten. Ich hatte mich schon gewundert, denn sie waren sehr gut formuliert gewesen - kein Wunder!

Es war außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass man so etwas tun kann, so etwas kommt nur im Fernsehen vor.

Es kam dann schließlich zum Vergleich.

Meine beiden Nachfolger wurden kurz hintereinander entlassen (auch der junge Mann, der die "Berichte" nachgeschrieben hat). Mein Bruder bot mir wieder eine Arbeit in der Firma an, die ich allerdings ablehnte. Die Firma wurde dann komplett geschlossen, die restlichen Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit entlassen. Die Sekretärin ist in die vorgezogene Rente gegangen.

Ich selbst habe mich (und die Familie) mit allen möglichen Arbeiten über Wasser gehalten. Ich habe Unterricht gegeben, als Lokalredakteurin für die Zeitung Berichte geschrieben - und - eine kleines Unternehmen gegründet.

Ich bin erfolgreich, glücklich und zufrieden. Kann einigermaßen von meiner Arbeit leben.

Doch der Graben zwischen meinem Bruder und der jüngeren Schwester ist so groß und tief, dass ich es nicht schaffe, ihn zu überspringen.

zurück

aktualisiert am 17.03.2008