Wie heißen Sie und wo in etwa wohnen Sie?

Ich möchte mein Pseudonym "Wattwurm 21" benutzen, ich wohne in Schleswig Holstein

Wann wurde bei Ihnen bzw. dem von Ihnen betreuten Patienten die Diagnose Vaskulitis gestellt?

Im März 2009

Wissen Sie, an welcher speziellen Vaskulitis Sie leiden ?

Churg-Strauss-Syndrom, C-ANCA + assozierte Kleingefäßvasculitis,  E, L, S, C

Welche Symptome hatten Sievor der Diagnose?

seit 1995: schwere Atemnotanfälle über Tage andauernd, Sinusitis maxillaris, Nachtschweiß, Schlafstörungen, ständige Erkältungen und Halsschmerzen, Leistungsknick, Durchfälle, diverse Allergien, Hautunterblutungen, Fehlgeburten, Gelenkschmerzen, Schwellungen der Gelenke, großflächige juckende Hautirritationen mit Einblutungen, Herzrasen mit Ohnmachtsgefühl

seit 2005: zusätzlich Sehstörungen, trockenes Auge, Gangstörung, Lähmung und Sensibilitätsstörungen der linken Körperseite, Nervenschmerzen, Störungen des Antriebs, extreme Müdigkeit nach geringster Belastung, depressive Einbrüche durch die lange Krankheitsdauer

seit 2010: Wortfindungsstörungen, Gedächtnisstörung, Intelligenzverlust, Störungen des Antriebs und der Affekte,

Wie haben Siereagiert, als Sie erfuhren, dass Sie an einer so seltenen Erkrankung leiden? Wie haben Ihre Familie/Ihre Freunde spontan reagiert?

Ich war erleichtert weil der Diagnosedruck weg war / später geschockt als mir klar wurde an "was" ich erkrankt bin

Beschreiben Sie Ihre Erfahrungen mit Medizinern und Pflegepersonal, die Sie betreuen/betreut haben. Welche Schwierigkeiten hatten Sie, genügend Information und eine korrekte Behandlung für eine so seltene Erkrankung wie Vaskulitis zu erhalten?

Alle Beschwerden wurden bis 2009 als hysterisch abgetan mit der Begründung: es gibt kein Krankheitsbild auf das ihre vielen Beschwerden passen.

In Bad Bramstedt wurde ich 2009 ausgezeichnet mit Informationen über das Krankheitsbild, mögliche Medikamentation und die auftretenden Probleme aufgeklärt, eine erste Therapie wurde begonnen.

Problem sind die hausärztlichen Praxen: die Unsicherheit und auch die verständliche Angst der niedergelassenen Ärzte vor so einem "exotischen" Patienten kann ich nachvollziehen

Meinem Hausarzt ein wenig Sicherheit zu vermitteln durch meine Kompetenz der Krankheit gegenüber lässt vieles leichter werden

Das Gefühl ich kann meinen Hausarzt und die Bad Bramstedter anrufen und um Hilfe bitten gibt mir zusätzliche Sicherheit

Welche guten/schlechten Erfahrungen haben Sie mit Medizinern und Pflegepersonal gemacht?

negativ:

Alle haben wenig Zeit

Zum Thema Lebenserwartung und Tod habe ich lange keinen Ansprechpartner gefunden

Wenn man weint und verzweifelt ist über den unbefriedigenden körperlichen Dauerzustand, verschwinden häufig auch ganz gravierende und durchaus gefährliche Symptome unter der Diagnose: psycho-vegetativ / somatoforme Störung

neutral:

Vielleicht hatte ich als ehemalige Krankenschwester eine extrem hohe Schwelle, zum einen, was das Krankheitsempfinden meiner Person betrifft, zum anderen, meinen behandelnden Ärzten gegenüber Krankheit und Schwäche zu zeigen.

Schließlich waren Ärzte 22 Jahre meine Arbeitgeber, und Kompetenz, Stärke und Gesundheit auszustrahlen sicherte mir meinen Arbeitsplatz.

Auch heute noch habe ich die Angewohnheit zu lächeln, wenn es mir sehr schlecht geht, diese Diskrepanz zwischen körperlichem Befinden und meinem äußeren Erscheinungsbild sehe ich auch als ursächlich für 15 Jahre Diagnose-Marathon.

positiv: außer 4 extrem-Erlebnissen sind mir Ärzte immer respektvoll und freundlich begegnet haben mir mit viel Geduld zugehört.

Meine Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich der Therapie und meines weiteren Lebens gegenüber sind die Ärzte viel aufgeschlossener und hilfsbereiter geworden, weil auch ich jetzt genauer äußern kann (mit Wissen über diese Krankheit, ihrem Fortschreiten und den damit verbundenen Behinderungen) was und wie ich mir ein weiteres Leben mit Vaskulitis vorstelle.

Wir leben in einem System, in dem die medizinsiche Versorgung meiner Meinung nach sehr gut ist; wenn eine Diagnose gestellt wurde, besteht die Möglichkeit, notwendige Untersuchungen und eine gute Behandlungen zu bekommen, diese nicht selbst bezahlen zu müssen, empfinde ich als Luxus.

Welche Medikamente nehmen Siezur Zeit ein? Welche Nebenwirkungen treten auf? Wie gehen Sie mit diesen um?

Inwieweit wurde Ihr Alltag von der Vaskulitis verändert? Welche positiven bzw. negativen Auswirkungen hat die Erkrankung auf Ihre Familie?

negativ:

Meine Alltagskompetenz ist sehr eingeschränkt und alltägliche Dinge erschöpfen mich schnell

ich liege viel und Atemnot schränkt mich zusätzlich ein

Störungen des Antriebs und meiner Affekte sind mir bewusst und belasten mich sehr

ich habe viel Schmerzen, vertrage aber keine Schmerzmittel, mir platzen die Gefäße,

soziale Kontakte finden häufig nur telefonisch statt,

ich bin "komisch" geworden für andere, die mich vorher kannten und "dümmer" auch, das belastet mich sehr

positiv:

ich bin ein anderer Mensch geworden; emotionale und körperliche Härte gegen mich selbst und andere, ist einem Tiefgang und Verständniss für Menschen mit ihren Sorgen und Nöten und dem Menschlichem im Allgemeinen gewichen

die Krankheit hat mich weich und demütig werden lassen

die aufgezwungene Ruhe hat mich auch innerlich ruhiger werden lassen

ich bin bei mir selbst angekommen

Was ist das Schwierigste am Umgang mit einer chronischen Erkrankung wie Vaskulitis? Wie schaffen Sie es durchzuhalten, wenn es wirklich schlimm wird?

meinen eigenen lang-zeit Verfall anzuschauen,

mit an / zusehen und bewusst zu erleben wie meine Kompetenzen kleiner / weniger werden

mein Aktionsradius häufig nur die Häuslichkeit ist, Intelligenzdefizite zu akzeptieren

Hilflosigkeit zu erleben ohne sie selbst beenden zu können

angewiesen sein auf:

das alles ist schwer auszuhalten

ich halte durch weil sich meine Gesamteinstellung zum Leben verändert hat,

ich lebe im Hier und Jetzt

genieße jeden Tag auf seine Weise,

sehe in den kleinen Dingen das ganz Grosse

freue mich über die Natur, ein Lächeln, eine nette Geste, ein nettes Wort

wichtig für mich ist ein "Notfall-Plan" geworden den ich ab-arbeiten kann wenn es mir akut schlecht geht, ohne dass ich sofort zum Arzt muss

die Gewissheit schnell und gezielt mir selber helfen zu können mit den bei mir vorhandenen Medikamenten, das ist für mich Lebensqualität und gibt mir das Gefühl der Selbstbestimmung, das bei einer chronischen Krankheit oft durch die häufigen Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte verloren geht.

Welche Rolle spielt eine Selbsthilfegruppe für Sie?

Eine sehr große Rolle, ich bin seit Dezember 2009 in einer SHG für langzeit chronisch Kranke Mitglied.

Der Austausch und das gegenseitige Verstehen ist für meine psychische Stabilität sehr wichtig geworden.

Antidepressiva konnte ich 2009 komplett absetzen, da ich gelernt habe, dass depressive Einbrüche, große Traurigkeit und tiefste Seelenschmerzen über meinen Zustand nicht wegtherapiert werden können und mich bis an mein Lebensende begleiten werden als fühlender Mensch.

Ich komme mir nicht mehr so "abartig" vor, wenn ich wieder einmal traurig bin, dass mein Leben diese Wende nahm.

Hier im Vasculitis Forum tausche ich mich gerne mit anderen Vasculitis Patienten aus

Welche Rolle spielt für Sie das Internet bei der Informationsbeschaffung bezgl. Vaskulitis?

IIm Internet habe ich die besten Informationen über diese Krankheit gefunden. Im Vasculitis-Forum konnte ich den Frust ablassen, der in meinem Zuhause keinen Platz mehr fand -

hier habe ich nette Menschen gefunden und kleine Freundschaften sind entstanden


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aktualisiert am 11.08.2011