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Mein Name ist Yvonne, ich bin 34 Jahre alt und Mutter dreier Töchter (3,8,10). Ich habe vor genau hundert Tagen, am Freitag vor Pfingsten 2012, die Diagnose Morbus Wegener erhalten.
Im Nachhinein betrachtet hatte ich schon mein ganzes Leben immer wieder Krankheitsanzeichen. Allerdings nahm davon niemand richtig Notiz.
Seit der (wirklich schweren) Geburt meiner dritten Tochter im Sommer 2009 war ich im Prinzip nur noch krank. Selten gab es längere Phasen in denen ich bei guter Gesundheit war.
Im September 2010 bekam ich eine Mittelohrentzündung. Die erste seit Babytagen (als Baby hatte ich monatelang Mittelohrentzündungen). Diese Mittelohrentzündung reagierte auf keines der verschriebenen Antibiotika. Irgendwann schickte mich der HNO-Arzt mit den Worten "Es ist wohl eine durch einen Virus verursachte MOE, da hilft nur abwarten." nach Hause. Also wartete ich ab.
Nach etwa einem halbem Jahr war das Ohr soweit ok das ich wieder normal darauf hörte und die Funktion der Eustach'schen Röhre auch normal war. Allerdings hatte ich immer noch eine erhöhte Temperatur von durchschnittlich 37,6 Grad. Das sollte sich auch bis zum Beginn der Therapie nicht merklich ändern.
Kurz danach bekam ich eine Furunkulose, ausgelöst durch Staphylococcus aureus. Damit quälte ich mich etwa 3 4 Monate rum. Hatte teilweise mehrere schmerzhafte Furunkel gleichzeitig in den Achseln, den Leisten und dem Bauch. Auch hier half kein verordnetes Antibiotikum oder Tinktur. In meiner Verzweiflung ging ich zu einem Heilpraktiker, der mir einen Tee verordnete, der auch keine Linderung brachte.
Irgendwann klang die Furunkulose von selbst ab.
Kurz darauf, Ende November 2011, bekam ich die nächste Mittelohrentzündung, diesmal auf der anderen Seite. Es begann das gleiche Spiel wie im Jahr zuvor. Mir wurden verschiedene Antibiotika verschrieben, die alle nicht anschlugen. Nach drei Wochen wachte ich morgens auf und hatte einen nassen Fleck auf dem Kopfkissen und ich merkte das ich Verkustungen am Ohr hatte. Ein weiterer Besuch beim HNO-Arzt bestätigte, dass mein Trommelfell geplatzt war. Ich wurde in die HNO-Ambulanz des örtlichen Klinikums überwiesen. Dort wurde ein Abstrich des Sekrets gemacht mit dem Ergebniss Staphylococcus aureus. Ich bekam nun Ohrentropfen verschrieben. Zwei Tage später hatte ich eine extrem schmerzhafte Entzündung des Gehörgangs.
Am 03.12.11 wachte ich morgens mit Kopfschmerzen auf. Gut, ich hatte abends einen Kaba mit Rum getrunken, aber dass ich davon einen Kater haben sollte erschien mir doch ungewöhnlich.
Seit diesem Tag wachte ich jeden Morgen mit Kopfschmerzen auf. Ich nahm täglich die Höchstdosis Ibuprofen. Teilweise wurde ich Nachts wach vor Schmerzen. Es ging soweit, dass ich mir die Schmerztabletten unter das Kopfkissen legte und diese Nachts gegen 3.00 nahm. Etwa zur gleichen Zeit hatte ich die ersten rheumatischen Beschwerden. Teilweise so schlimm, dass ich morgens kaum aus dem Bett kam. Hinzu kamen Kopfhautschmerzen. Jede Berührung meiner Haare war schmerzhaft. Kämmen oder Haare waschen wurde zur Qual. Ich hatte auch plötzlich immer öfter Nasenbluten. Ich wurde extrem licht- und geräuschempfindlich. Die üblichen Schmerzmittel brachten kaum noch Linderung.
Aufgrund meiner Kopfschmerzen ging ich zum Optiker, der eine Weit- und Winkelfehlsichtigkeit feststellte. Ich ließ mir eine Brille anfertigen und hoffte, dass es nun besser wird. Leider half auch die Brille nicht viel.
Ich hatte inzwischen auch schon längere Zeit Schnupfen. Wenn ich mir die Nase putzte, hatte ich einen roten Nebel aus feinen Blutspritzern im Taschentuch. Dazu kamen extrem große Borken in der Nase die sich sehr schnell nachbildeten.
Ich probierte mich durch die komplette Palette frei verkäuflicher Medikamente, war Stammgast in der Apotheke und ließ mehrere hundert Euro dort. Ich inhalierte, spülte, bestrahlte. Nahm Mittel zur Stärkung des Immunsystems, Pillchen und Pülverchen. Alles ohne Linderung. Mittlerweile brauchte ich zwei Flaschen Nasenspray pro Woche und hatte überall im Haus Nasenspray verteilt. Meine größte Angst war es das ich irgendwo bin und kein Nasenspray greifbar habe.
Ich wechselte meinen Hausarzt. Der neue Arzt diagnostizierte aufgrund meiner Blutwerte eine chronische Borreliose und verschrieb mir eine 7 Wochen andauernde Antibiose. Diese führte zwar dazu, dass am Ende keine Borrelien mehr im Blut nachweisbar waren, meine Gelenkschmerzen waren aber schlimmer als jemals zuvor. Teilweise konnte ich meine Beine nicht mehr anwinkeln vor Schmerzen. Ich konnte das Bein zwar schmerzfrei bewegen wenn ich es mit der Hand angehoben und dann verschoben habe, aber sobald ich die Muskeln zu Hilfe nehmen wollte ging nichts mehr.
Nun bekam ich auch noch Husten. Einen trockenen, unproduktiven Husten.
Mein Trommelfell war mittlerweile seit 2 Monaten offen, mein HNO-Arzt, immerhin bis vor kurzem der stellvertretende Oberarzt einer guten HNO-Klinik, war mit seinem Latein am Ende und schickte mich mit den Worten "Wir müssen abwarten." nach Hause. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich schon seit 6 Wochen keinen Druckausgleich mehr auf dem linken Ohr durchführen. Die Eustach'sche Röhre war dicht.
Wegen meiner schrecklichen Kopfschmerzen war ich mittlerweile im Schmerzzentrum in Therapie. Dort wurde mir gesagt ich müsse ab sofort alle Schmerzmittel absetzen um einen Schmerzmittelinduzierten Kopfschmerz ausschließen zu können. Die folgenden Wochen waren für mich eine schrecklich schmerzhafte Tortur. Ich hatte rund um die Uhr Kopfschmerzen, Kopfhautschmerzen, Gelenkschmerzen und neuerdings so schlimme Schmerzen im Nasenbein das ich meine Brille nicht mehr tragen konnte. Meine Nase war so schmerzempfindlich, dass jede noch so kleine Berührung schmerzte.
Nachts konnte ich kaum noch schlafen vor Schmerzen, war tagsüber ausgelaugt und kaum belastbar. Meine Gelenkschmerzen waren teilweise so stark das ich abends nicht mehr in die Kinderzimmer in den 1. Stock kam zum Gute Nacht sagen.
Mein Cousin, ein Hörgeräteakkustikermeister, empfahl mit eine HNO-Ärztin, die für ihre Gründlichkeit in der Diagnosestellung bekannt sei. Diese schickte mich sofort zum Dünnschicht-CT. Die Bilder zeigten ein komplett verschattetes Mastoid und die bereits vorangeschrittene Auflösung der knöchernen Strukturen. Mit diesen Bildern ging ich zu meinem bisherigen HNO Arzt. Ich weiß bis heute nicht, warum er diese Untersuchung nicht angesetzt hatte. Auf jeden Fall schickte er mich umgehend in die Ambulanz der HNO-Klinik. Dort wurde mir ein Termin für eine Mastoiddektomie gegeben.
Einige Tage vor dem OP Termin wurde mir beim Autofahren auf einmal schwindelig und schwarz vor Augen. Ich schaffte es gerade noch, rechts ran zu fahren. Nachdem mir das an diesem Tag noch mehrmals passierte, brachte mich mein Mann am nächsten Tag in die HNO-Klinik. Die Ärzte dort stellten fest, dass ich extrem hohe Entzündungswerte und eine unglaublich schnelle Blutsenkung hatte. Ich bekam sofort Antibiotika i.v., das aber keinerlei Wirkung zeigte. Zwei Tage später wurde ich operiert. Der Operateur erzählte hinterher, dass er so etwas noch nicht gesehen hätte. Mein Mastoid war voll von fest-fleischigem Gewebe. Eine Biopsie dieses Gewebes wurde veranlasst. Aufgrund meiner Schmerzen in den Beinen wurde ich auf evtl. Embolien untersucht. Man entdeckte einen (!) Schatten auf der Lunge.
Am nächsten Tag kam ein Arzt, stellte die Verdachtsdiagnose Morbus Wegener in den Raum und nahm mir Blut ab für die Bestimmung der c-ANCA Werte.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich so extreme Schmerzen in den Beinen, dass ich kaum noch laufen konnte. Ich vermied es, mich auf einen Stuhl zu setzen, denn hinsetzen und aufstehen waren zu schmerzhaft. Es wurde mit einer Cortison-Therapie begonnen und ich war schmerzfrei. Zum ersten Mal seit 4 Montaten. Es war ein Traum.
Nach 14 Tagen wurde ich aus der Klinik entlassen. Meine Entzündungswerte waren zwar immer noch exorbitant hoch, aber sonst fehlte mir augenscheinlich nichts. Die Bestimmung der c-ANCA Werte war ohne Befund.
Das Hörvermögen auf dem operierten Ohr lag immer noch im stark schwerhörigen Bereich.
Zu Hause ging es mir dank des Cortisons recht gut. Ich sollte das Cortison recht schnell ausschleichen (alle 3 Tage reduzieren) und dann 14 Tage cortisonfrei sein, damit man mein Blut auf bestimmte Rheumamarker untersuchen konnte. Bereits bei einer Dosierung von 5 mg am Tag kamen meine Symptome zurück und es ging mir täglich schlechter. In den Tagen, in denen ich cortisonfrei war, war ich totkrank. Ich lag fast nur noch, konnte mich zu nichts aufraffen. Ich war extrem kraft- und antriebslos. Sogar das Nichtstun überforderte mich. Die Versorgung der Kinder erfolgte nur noch behelfsmäßig. Wenn ich es schaffte, ihnen eine Dose Ravioli warm zu machen, dann war das wirklich großartig. Nach kurzen Anstrengungen lag ich wieder mit hohem Fieber im Bett. Ich kam die Treppen in unserem Haus teilweise weder hoch noch runter und war nicht in der Lage, meine Tochter in den Kindergarten zu bringen. Das Haus sah aus wie einziges Chaos, darunter litt meine Psyche zusätzlich.
Ich hoffte nur noch, dass die Tage ohne Cortison schnell vorbei gehen mögen und es mir endlich wieder besser geht.
Inzwischen hatte ich eine taube Stelle an der linken Ferse. Teilweise hatte ich das Gefühl, ich hätte einen Elektrozaun im Fuß. Alle paar Sekunden hatte ich das Gefühl einen elektrischen Schlag zu bekommen. Diese Areal weitete sich schnell aus.
Direkt nach der Blutabnahme bat ich meinen Hausarzt wieder mit dem Cortison starten zu dürfen. Ich nahm wieder 20 mg und war abends schon wieder ein neuer Mensch.
Meine Blutwerte waren allerdings alarmierend. Meine Nierenwerte waren viel zu hoch. Es wurde nochmal Blut abgenommen und die Ansage gemacht, dass ich, sollten die Werte nicht besser sein, ins Klinikum müsste. Abends stellte mir eine befreundete Ärztin aufgrund all meiner Symptome und der neuen Nierenproblematik die Verdachtsdiagnose Morbus Wegener.
Die neuen Blutwerte waren noch schlechter. Ich fragte meinen Arzt ob es sich um Wegener handeln könnte und er nickte nur und sagte, er befürchte es.
Im Klinikum angekommen lief die übliche Maschinerie aus Untersuchungen an. Bereits am Abend nach meiner Einlieferung stand die Diagnose MW zu 95 % fest. Meine Lunge war mittlerweile voller Infiltrationen, sechs Wochen vorher war es nur ein einziger Schatten gewesen und die Nierenfunktion auf etwa 10 %.
Meine Beschwerden am Fuß hatten sich mittlerweile auf die ganze linke Seite ausgeweitet, incl. Spann. Dazu kam das gleiche Elektrozaun-Gefühl in der Wirbelsäule auf Nierenhöhe und im Becken.
Ich bekam drei Tage 500 mg Cortison täglich, den ersten Endoxanstoß und eine Nierenpunktion. Diese zeigte das 80 % der Nierenkörperchen irreversibel zerstört waren. Ich bekam einen Zentralen-Venen-Katheter gelegt über den sieben mal eine Plasmapherese erfolgte. So saß ich alle zwei Tage zwischen 3,5 und 5 Stunden im Dialysezimmer und ließ mir 5 l Blutplasma austauschen. Da mein Blut so voller Eiweiße war, mussten die Filter immer wieder ausgetauscht werden.
Durch die hohen Cortisongaben besserten sich meine Beschwerden sehr schnell. Der Husten wurde langsam besser, der blutige Schnupfen lies nach und ich konnte meine Brille wieder tragen. Auch die Kopfschmerzen wurden besser und irgendwann fiel mir morgens auf, dass mir die Haare nicht mehr weh taten. Die Beschwerden im Fuß wurden auch von Tag zu Tag besser. Mittlerweile ist es so, dass nur noch eine kleine Stelle taub ist. Allerdings habe ich in einem noch recht großen Areal eine Empfindungsstörung der Haut. Sie fühlt sie so gereizt an, als hätte ich einen heftigen Sonnenbrand. Meine Nierenfunktion liegt im Moment bei 25 %. D.h. zwar, dass ich nach wie vor irgendwann dialysepflichtig werde und eine Lebendspende brauche, aber im Moment steht es nicht direkt ins Haus.
Bisher ist es so, dass ich drei Wochen nach der letzten Endoxangabe wieder die ersten Krankheitsanzeichen bekomme. Die Borken in der Nase, der Husten, die Gelenkschmerzen, alles meldet sich dann langsam zurück. Ich hoffe, dass wir den lieben Herrn Wegener bald im Griff haben und ich in die Remission komme.
Seit kurzem trage ich ein Hörgerät auf der linken Seite, da ich einen Hörverlust von etwa 80 dB habe. Bei manchen Frequenzbereichen grenzt es an Taubheit. Damit kann ich aber gut leben. Ich habe auch schon seit langer Zeit keine nennenswerten Mengen an Schmerzmittel oder Nasenspray verwendet.
Nach der Diagnosestellung war ich erstmal geknickt, aber dann doch froh endlich zu wissen, womit ich es zu tun habe. Am schlimmsten fand ich, dass ich die Monate vorher von Pontius zu Pilatus gerannt bin und mir niemand helfen konnte. Wenn Sie ein Arzt verzweifelt anschaut und sagt "Ich weiß nicht was ich noch mit Ihnen machen soll.", dann ist das nicht sehr aufbauend. Man weiß, man ist krank, aber niemand kann einem sagen, was man hat. Wenn man gesagt bekommt "Frau H., Sie haben nichts." und sich selbst aber kaum auf den Beinen halten kann, dann fühlt man sich selbst wie ein Simulant. Versucht, sich zusammenzureißen und weiterhin zu funktionieren.
Dazu das Umfeld, dass die ständigen neuen Krankheitsgeschichten nicht mehr hören kann und einen schon langsam nicht mehr ernst nimmt bzw. davon ausgeht, dass man übertreibt. Aber wer kann es ihnen verübeln, man zweifelt ja schon an sich selbst.
Yvonne sushisu [at] web [dot] de
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aktualisiert am 01.09.2012
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